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Nachlese: Tatort „Das verkaufte Lächeln“

Der Münchner Tatort „Das verkaufte Lächeln“ vom 28.12.2014, an dessen Drehbuch ich beratend mitwirken durfte, erzielte eine hervorragende Quote von 9,71 Millionen Zuschauern und erreichte im Bereich der 14-29jährigen sogar die viertbeste Quote des Jahres 2014. Auch die Kritik äußerte sich insgesamt sehr positiv über diese Folge.

Eine der Kernaussagen dieses Films ist, dass die Mehrheit der Eltern wenig bis nichts davon mitbekommt, was ihre Kinder im Internet tun, zu welchen Uhrzeiten sie das tun und mit wem sie dort Kontakt haben. Diese Problematik zieht sich durch sämtliche Bevölkerungsschichten, was auch die unterschiedlichen familiären Hintergründe der drei jugendlichen Protagonisten des Films spiegeln: Florian hat eine alleinerziehende Mutter, Tims Eltern betreiben einen Blumenladen und sind daher wenig zuhause, Hannas wohlhabende Eltern sind mehr mit sich selbst als mit ihrer Tochter beschäftigt und überlassen deren Betreuung und Erziehung einer Haushälterin. Das mag auf den ersten Blick stereotyp oder zu konstruiert wirken, aber derart unterschiedliche Familienverhältnisse sind auch an meiner eigenen Schule alltäglich – und ihnen gemeinsam ist, dass die Internetaktivitäten der meisten Jugendlichen weitestgehend außerhalb des Blickfelds ihrer Eltern ablaufen, wobei die zunehmende Ausstattung mit Smartphones dieses Phänomen in den letzten Jahren noch deutlich verschärft hat – das Thema „Sexting“ unter Jugendlichen ist leider ein klarer Beleg dafür. Auch in Dating Apps und Portalen wie etwa „Lovoo“ präsentieren sich zahllose Minderjährige, insbesondere Mädchen, unbemerkt von ihren Eltern in sexy Posen mit Kussmund, Kulleraugen und freizügigen Einblicken in ihre körperlichen Vorzüge, Mädchen mit tiefen Ausschnitten oder Bikinis, Jungen mit freiem Oberkörper oder in Shorts.

Um eine Einschätzung der Story durch Jugendliche zu erhalten, habe ich den Film gemeinsam mit einer achten Klasse und Drehbuchautor Holger Joos bereits vor der Erstausstrahlung geschaut. Rückmeldung der Jugendlichen: Dass Eltern nicht wissen, was online läuft, ist in den meisten Familien Normalität. Interessanter Weise empfanden sie ausgerechnet die Tatsache, dass der pädophil veranlagte Tatverdächtige Buchholtz Familienvater und Jugendtrainer ist, als unrealistisch, was wiederum die Naivität dokumentiert, mit der sich Kinder und Jugendliche im Netz bewegen, denn diese Konstellation ist leider traurige Realität: Pädophile suchen sich häufig gezielt Tätigkeitsbereiche, in denen sie ihrer Zielgruppe möglichst nahe kommen. Der DFB verlangt u.a. aus diesem Grund ein polizeiliches Führungszeugnis von seinen Jugendtrainern.

Natürlich zeigt dieser Tatort eine extreme Geschichte (welcher Krimi dreht sich schon um Alltägliches?), aber er basiert auf einem echten Fall aus den USA, der dort 2005 für Aufsehen sorgte und vor Gericht ging. Auch damals ging es um die Frage, wer hier eigentlich Täter und wer Opfer ist und welche Gesetze überhaupt anzuwenden sind. Kinderpornographie spielt in diesem Tatort keine Rolle, da die Jugendlichen bereits 14 Jahre alt sind (Vermutungen einiger Kritiker, in diesem Tatort werde auf den Fall Edathy angespielt, sind übrigens abwegig, die Arbeit am Drehbuch begann bereits 2005). Machen sich Erwachsene strafbar, wenn sie solche Angebote von Jugendlichen annehmen? Haben sie in diesem Fall eine „mangelnde Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung“ ausgenutzt, was Gerichte bei sexuellen Kontakten Erwachsener mit 14- und 15jährigen im Einzelfall zu prüfen haben?

Die aus meiner Perspektive zentrale Frage ist allerdings, wie man Eltern dafür sensibilisieren kann, sich um die Onlineaktivitäten ihrer Kinder zu kümmern und ihnen die digitale Welt nicht unbegleitet zu überlassen. Welche Konzepte sind dafür notwendig, welchen Beitrag können/müssen die Schulen leisten?

Meine Hoffnung ist, dass dieser Tatort einen Teil der Eltern unter den 9,71 Millionen Zuschauern inspiriert hat, sich mit diesem wichtigen Erziehungsthema zu befassen und insbesondere das Gespräch darüber mit ihren Kindern zu suchen – denn Kommunikation ist eine unverzichtbare Voraussetzung für vertrauensvolle und erfolgreiche Erziehung.

P.S.: Am 4.1.15 brachte die BAMS (Auflage ca. 1,1 Mio) einen zweiseitigen Artikel zu der Frage, ob es wirklich so leicht ist, Onlinsex gegen Geld zu tauschen, wie im Tatort „Das verkaufte Lächeln“ am 28.12. dargestellt. (Es ist kinderleicht, einfach mal „Sex gegen Geschenke“ googeln…)
Im Rahmen des Reports wurde ich mit ein paar grundlegenden Tipps zur Medienerziehung zititert und meine Website genannt. Die vorsichtig kalkulierte Erwartung, dass vielleicht ein Promille der Leser dadurch motiviert würde, sich www.medien-sicher.de mal anzuschauen, erwies sich allerdings als krasse Fehleinschätzung – die Statistik verbuchte nur ca. 50 Aufrufe mehr als sonst! Die brisante Mischung aus Naivität („MEIN Kind betrifft das ja nicht…“) und Desinteresse, die ich bei Eltern in Bezug auf die Internetaktivitäten ihrer Kinder seit Jahren wahrnehme (zu entsprechenden Infoabenden kommen nicht selten weniger als 10% der eingeladenen Eltern), wurde leider wieder einmal eindrucksvoll bestätigt.

2 Gedanken zu „Nachlese: Tatort „Das verkaufte Lächeln“

  • Günter Steppich

    Über die potentielle Leserschaft hatte ich mir auch Gedanken gemacht, die Quote macht mich trotzdem sehr nachdenklich

  • raurad

    Sehr geehrter Herr GS,

    ich bin eigentlich nur zufällig auf diese Seite gestossen, da ich mich über die Möglichkeiten Smartphone für meinen Sohn und wie wir damit umgehen können.
    Da ich aber auch zufällig diesen Tatort mit meiner Frau und unserem Sohn 12J.(gemeinsam) angesehen habe und hinterher auch darüber richtig sprechen können. Ich habe ihre interessante Nachschau darüber mit Interesse gelesen und bin ebenfalls verwundert über die geringe Resonance BAMS. Vielleicht auch nur ein Fingerzeig über die Leserschaft?

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