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Medienelternabende und Bildungshintergrund

Nach über 130 Elternabenden an Grund- und weiterführenden Schulen muss ich davon ausgehen, dass es sich bei dem Thema, das ich hier nach reiflicher Überlegung offen und öffentlich ansprechen möchte, nicht um Einzelfälle, sondern um eine klar belegte Tatsache handelt: Jedes Mal, wenn ich einen Infoabend zur Medienerziehung an einer Schule mit überdurchschnittlich hohem Migrationsanteil halte, spiegelt sich diese Relation im Publikum nicht ansatzweise wieder, sondern kehrt sich um. Warum ist das so?
Ausnahmen von dieser Beobachtung stellen manche Gymnasien wie auch meine eigene Schule dar, die aktuell vor allem in den jüngeren Jahrgängen auch einen Migrationsanteil von sicherlich 50 % aufweist; diese Eltern haben aber mehrheitlich einen hohen Bildungshintergrund und ich hatte noch niemals Schüler, mit deren Eltern ich nicht reden konnte. Auch an diesen Schulen muss man viel Überzeugungsarbeit leisten, damit Eltern zu solchen Abenden erscheinen, die Teilnahmequoten liegen hier aber erheblich höher. Die Extreme, die ich seit Jahren erlebe, schwanken zwischen unter 10 % und über 90 %. An einer Gesamtschule in einem sozialen Brennpunkt erschienen bei einem meiner Elternabende nur 49 von ca. 1000 eingeladenen Eltern, obwohl die Schule wegen eines heftigen Sextingvorfalls unter Sechstklässlern gerade Kopf stand!

Klarzustellen ist in diesem Zusammenhang, dass ursächlich keineswegs die Nationalität, sondern vielmehr der Bildungsgrad der Eltern für dieses Phänomen verantwortlich ist, wobei es wiederum starke Unterschiede zwischen verschiedenen Herkunftsländern gibt. Menschen ab 25 Jahren mit Migrationshintergrund in Deutschland haben zu 13,3% keinen Schulabschluss und zu 38,3% keinen Berufsabschluss (ohne Migrationshintergrund: 1,7% bzw. 14,1%). Sie sind häufiger arbeitslos (7,3% gegenüber 3,7% aller Erwerbspersonen) oder gehen nur einer geringfügigen Beschäftigung wie einem einem Minijob nach (11,0% gegenüber 6,4% aller Erwerbstätigen. Quelle: Statistisches Bundesamt „Bevölkerung mit Migrationshintergrund“, PDF, S. 7).
Dass die Kinder dieser Elterngruppe deutlich schlechtere Bildungschancen haben als Kinder von Eltern mit höherem Bildungsniveau, ist die wohl gravierendste Schwachstelle des deutschen Schulsystems, die sich in jeder internationalen Schulvergleichsstudie offenbart.

Es geht in diesem Beitrag ausdrücklich nicht um pauschale Vorwürfe an diese Bevölkerungsgruppe, und ich möchte schon gar nicht die falsche politische Ecke damit bedienen. Es geht vielmehr um dringend notwendige Lösungsansätze für zwei Fragen:

  1. Warum kommen so viele Eltern mit niedrigem Bildungsniveau nicht zu Elternabenden?
  2. Was kann/muss getan werden, um das zu ändern?

Denn ebenso offensichtlich haben deren Kinder nicht die wenigsten Probleme im Bereich digitale Medien, ganz im Gegenteil: Viele dieser Kinder sind überdurchschnittlich früh mit allem ausgestattet, was Bildschirme hat, von Flatscreen-TV und Konsole im Kinderzimmer bis hin zu Smartphones mit großzügigen Flatrates, und sie werden in der Nutzung vergleichsweise wenig reglementiert und kontrolliert. Das ist nicht nur die persönliche Erkenntnis meiner Arbeit an über 150 hessischen Schulen, sondern wird durchgängig von Kolleginnen und Kollegen dieser Schulen in Vorgesprächen zu Elternabenden oder im Rahmen von Lehrerfortbildungen bestätigt. Trotz sehr begrenzter finanzieller Möglichkeiten kaufen viele dieser Eltern ihren Kindern Smartphones und Spielekonsolen auf Raten, ein direkter Zusammenhang zwischen dem Kontostand der Eltern und der digitalen Ausstattung der Kinder besteht nicht, auch dieser ist antiproportional. In aller Regel tun Eltern dies aus der ebenso guten wie irrigen Absicht heraus, damit das Ansehen ihrer Kinder in der Schule aufwerten und ihre berufliche Perspektive verbessern zu können.

Dass so viele dieser Eltern an Schulveranstaltungen wenig bis gar nicht teilnehmen, liegt bei einem Teil sicherlich an Sprachbarrieren. Angebote in anderen Sprachen wären also hilfreich, aber welche Sprachen müssten hier bedient werden und wer kann das leisten? Angesichts der Dynamik des Internets müssen die Materialien ja auch regelmäßig aktualisiert werden. Auf der anderen Seite wird in Diskussionen über dieses Thema immer wieder die Frage gestellt, ob man auch Eltern, die zum Teil seit Jahrzehnten in Deutschland wohnen, ohne die Sprache soweit gelernt zu haben, dass sie ohne Dolmetscher mit der Schule kommunizieren können, durch solche Angebote noch in ihrer (vermeintlichen?) Integrationsunwilligkeit unterstützen sollte. Tut man das aber aus diesem Grund nicht, geht das letztlich zu Lasten der Kinder.
Aber warum kommen auch viele Eltern nicht, die sprachlich in der Lage wären, den Vortrag zu verstehen? Nehmen Sie die Probleme, die ihre Kinder im digitalen Raum haben, nicht wahr? Wollen Sie sie nicht wahrhaben, weil sie sich nicht damit (und mit ihren Kindern) auseinandersetzen möchten? Kommen Sie aus Kulturkreisen, in denen es unüblich ist, dass Eltern in der Schule erscheinen? Diese Fragen sind spekulativ und können nicht pauschal, sondern nur individuell beantwortet werden.

Sicher ist, dass diese Situation für die Schulen extrem unbefriedigend ist, denn Medienerziehung kann nur unter Einbeziehung der Eltern gelingen, denn mit der Medienarbeit im Unterricht können wir nur sehr begrenzt Einfluss auf das Freizeitverhalten der Kinder nehmen. So ist es beispielsweise utopisch, dass die Schule so überzeugend auf Kinder einwirkt, dass diese Abends ihr Handy rechtzeitig ausschalten und nicht mit ins Kinderzimmer nehmen, damit sie am nächsten Tag ausgeschlafen in der Schule auflaufen können.

Wie auch immer, wir brauchen dringend eine Lösung für dieses Problem. In der Schweiz können Schulen Elternabende als verpflichtend erklären, aber Zwang ist in Bildungsfragen ein wohl eher zweifelhaftes Mittel.

 

2 Gedanken zu „Medienelternabende und Bildungshintergrund

  • Günter Steppich

    nach meiner Erfahrung kennen sich bildungsferne Eltern nur sehr oberflächlich mit Medien aus, da wird gerne intensive Nutzung mit Kompetenz verwechselt

  • Lieber Steppich
    Danke für die klaren Worte, können Sie ruhig deutlich formulieren. Ich könnte jetzt politisch mit unangenehmen Wahrheiten argumentieren, ich gehe davon aus, das die Integrationsbereitschaft weiter sinken wird, proportional zur Zunahmen von No-Go Areas in allen Großstädten und mittleren Städten. Aber ich argumentiere einmal interkulturell:
    1. Nicht in allen Ländern sind Medien so böse wie im Land der German Angst
    2. Nicht in allen Ländern gibt es einen solchen ausgeprägten Glauben an die Wirksamkeit von „pädagogik“ ( es gibt „education“ , es gibt „learning“ usw)
    3. Nicht in allen Schichten gelten „Achtsamkeit“ „Gewaltfreiheit“ „Gleichheit“ als annähernd erstrebenswerte Lebensziele, sondern Geld, Status und Macht.
    4. Natürlich ist Bildung und eine vorhandene funktionierende Mittelschicht die Grundlage für das Funktionieren eines Landes. Wir sehen gerade zu, wie dies abgeschafft wird, die Folgen können sich heute die wenigsten vorstellen…

    P.S. ich hatte persönlich, ich glaube, nur einen Elternabend, der wirklich verpflichtend war. Da hat die couragierte Leiterin eines Sprachheilkindergartens die Eltern verpflichtet, deren Kinder morgens mit dem Bus abgeholt und abends zurückgebracht werden. Und ich sage Ihnen: als die Eltern da waren, war es 95 % so wie immer !!! Diskutieren und Erfahrungen austauschen auf Augenhöhe, hat Spaß gemacht. Warum: in kaum einer Sache kennen sich „Unterschichteltern“ so gut aus wie mit Medien. daher bin ich durchaus für „Zwang“ in bestimmten Fällen. Elternrecht geht vor, aber sich persönlich weiterentwickeln ist doch auch ok oder !

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