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Cybermobbing-Hysterie reloaded :-(

Im Mai 2013 veröffentlichte das „Bündnis gegen Cybermobbing“ eine Pressemeldung zu seiner Studie, laut der angeblich jede/r fünfte Schüler/in schon von Cybermobbing geworden war. Dabei hatte man 16,6% großzügig aufgerundet, aber auch diese Zahl war absurd übertrieben, weil in der Studie der Begriff „Mobbing“ gar nicht definiert worden war. Dazu habe ich damals eine ausführliche Kritik veröffentlicht und im Juli 2013 noch einen grundsätzlichen Artikel zu diesem Thema nachgeschoben. Fazit: Jeder einzelne Fall von Cybermobbing ist ohne jeden Zweifel ein gravierendes Problem für die Betroffenen, aber es ist überhaupt nicht hilfreich, mit absurden Zahlen Hysterie zu schüren. Ich frage mich nach wie vor, ob dahinter Vorsatz oder schlicht Unkenntnis steht. Die Studie 2013 wurde von einer Versicherung gesponsort, die Rechtsschutz gegen Cybermobbing anbietet.

In der aktuellen Neuauflage dieser Studie („Cyberlife“) wurde das untersuchte Problem immerhin definiert, in der Auswertung dann aber dennoch erneut jeder triviale Streit als Cybermobbing eingeordnet:

Mobbing ist eine Form offener und/oder subtiler Gewalt gegen Personen über längere Zeit mit dem Ziel der sozialen Ausgrenzung. Beispiele dafür sind Hänseln, Beschimpfen oder Beleidigen, aber auch Rufschädigung, Ausgrenzung, das mutwillige Kaputtmachen von Gegenständen des Opfers oder das Vorenthalten von Informationen.“

Was da in der Tabelle auf S.82 der Studie alles als „Cybermobbing“ definiert wird, ist weiterhin schlichtweg Unsinn. Damit kommt man weiterhin auf abwegige Zahlen, die niemand, der in der Praxis mit diesem Thema zu tun hat, bestätigen kann. Würde man im Offlineleben jede Beschimpfung, Beleidigung, Lüge und jedes Gerücht als Mobbing einstufen, hätten wir hier ein noch weitaus größeres Problem mit annähernd 100 % Betroffenen! Und wie schon 2013 werden 12,7 %Betroffene großzügig zu „jeder Siebte“ gerundet, obwohl das nach Adam Riese jeder Achte (7,87) ist.

Kriterien für Mobbing, online wie offline, sind

  1. nachhaltige Wirkung auf die Betroffenen und
  2. Übermacht auf Täterseite.
  • Wenn zwei Schüler sich per WhatsApp heftig streiten und beleidigen, ist das kein Cybermobbing!
  • Wenn jemand etwas Falsches oder Unangemessenes über einen anderen postet und das Problem schnell wieder geklärt ist, liegt ebenfalls kein Mobbing vor.
  • Dasselbe gilt, wenn jemand in einem Klassenchat verbal Schläge bezieht und das am nächsten Tag geklärt wird.

Das alles sind unangenehme Situationen, die aufgearbeitet und geklärt werden müssen, aber eben noch lange kein Mobbing.

In der seriösen JIM-Studie 2016 geben 8% der Jugendlichen an, schon einmal „online fertig gemacht“ worden zu sein, und auch da ist nicht jeder Fall automatisch Cybermobbing.

Weitere Merkwürdigkeit: In der Zusammenfassung der Ergebnisse auf S. 11 heißt es:

Die Folgen von Cybermobbing können fatal sein: Jedes fünfte Cybermobbingopfer hatte
bereits Suizidgedanken, in absoluten Zahlen entspricht das über 280 Tausend Schülerinnen
und Schüler. Weitere 30% der Betroffenen fühlen sich dauerhaft belastet.“

Das erweckt den Eindruck, es ginge hier um insgesamt 50 % der Betroffenen geht, in der Tabelle auf S. 87 stellt sich das allerdings ganz anders dar. Die Einzelergebnisse lassen sich nicht summieren, damit käme man auf über 200 %! Ob hinter dieser Falschdarstellung Methode steckt, oder schlicht ein Fehler, muss jeder für sich einschätzen. Man kann Cybermobbing nicht nur als pädagogische Herausforderung sehen, sondern auch als Geschäftsfeld.

Interessanter Weise ist Uwe Leest, Vorstandsvorsitzender des Bündnisses gegen Cybermobbing, zugleich auch Geschäftsführer der COBUS Marktforschung GmbH, die die Studien durchgeführt hat.

Vorstandsmitglied Dr. Caterina Katzer (Politikwissenschaftlerin) wird 2017 nicht mehr als Autorin der Studie genannt, bot aber 2013 auf Ihrer Website Schulen Vorträge zum Thema Cybermobbing für vierstellige Beträge an.

Und der Hauptsponsor der aktuellen Studie, die Telekom, preist im Vorwort zur Studie seine „Computerhilfe Plus“ an:

Zusätzlich hat die Telekom mit der Computerhilfe Plus ein Produkt entwickelt, das aktiv gegen Cyber-Mobbing eingesetzt werden kann.“

Im 2-Jahres-Abo für 3,95 € im Monat (danach 4,95 €) kann man hier bis zu viermal jährlich Hilfe bei der Löschung rufschädigender Inhalte im Internet und „individuelles Fallmanagement“ buchen. Die Telefonhotline ist allerdings nur 15 Minuten pro Monat gratis, danach kostet sie jeweils 1,79 €/Minute. Prävention verstehe ich anders!

Cybermobbing ist ein gravierendes Problem und ich habe als Fachberater und Referent für Jugendmedienschutz viel damit zu tun (weil Schulen aus ganz Hessen anfragen), aber es ist überhaupt nicht hilfreich, mit absurd falschen Zahlen Hysterie zu schüren.

Und mich ärgert jedesmal maßlos, wenn auch die seriösen Medien (kleine Auswahl: ARD, ZDF, Zeit, FAZ, Süddeutsche, Spiegel) einfach ungeprüft Zahlen aus Pressekonferenzen übernehmen, offensichtlich ohne einmal selbst einen Blick in die Studie geworfen zu haben. Wenn man sich da nämlich die Fälle ansieht, die als „nachhaltig“ eingeordnet werden, kommt man 2013 wie 2017 auf 3-4 %! Um diese Fälle muss man sich intensiv kümmern und v.a. muss präventiv dagegen vorgesorgt werden – das betrifft allerdings jegliches Mobbing, nicht nur die Cybervariante! Für mich steht als positives Fazit der aktuellen Studie, dass die Zahl der Betroffenen gegenüber 2013 von 16,9 % auf 12.7 % gesunken ist, das ist ein Viertel weniger (!), obwohl die Ausstattung Jugendlicher mit Smartphones seitdem um 23 % (JIM-Studie 2016) zugenommen hat, bei den 12/13jährigen sogar um 34 %. Gleichzeitig haben die Schulen in der Präventionsarbeit zugelegt. Da lässt sich durchaus ein seriöser positiver Zusammenhang herstellen. 🙂 Wirksam gegen (Cyber-)Mobbing ist in erster Linie intensive und nachhaltige Prävention, nicht eine Versicherung, die erst greift, wenn es bereits zu spät ist!

 

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