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Smartphones überfordern Kinder – Bericht aus dem Unterricht

Es gibt ja ausreichend Leute, die der Meinung sind, Kinder könnten vernünftig mit Smartphones umgehen, wenn man es ihnen beibringt. Dann berichte ich mal von meiner gestrigen Unterrichtsstunde dazu in einer unserer fünften Klassen an der Gutenbergschule Wiesbaden. Es gibt dafür keine Regelstunden, ich lasse mich dazu in Vertretungsstunden einsetzen.Vorausschicken muss ich, dass wir eine ausgesprochen entspannte und pflegeleichte Schülerklientel haben, als Referent an vielen anderen Schulen erlebe ich dort ganz andere Herausforderungen.

Voraussetzungen: Ich habe die Eltern in einem verbindlichen Medienelternabend zu Beginn des Schuljahres (über 90% Teilnahme) ausführlich gebrieft, die Kinder haben eine Doppelstunde bei mir mit Internetbasics hinter sich, auch zum Thema Verhaltensregeln in Chats, und es war schon Thema in Klassenleiterstunden.
Die Stunde ist kein typischer Unterricht, sondern eine lockere Gesprächsrunde mit 30 Kindern.
– 15 Kinder haben ein Smartphone, 14 WhatsApp
– viele äußern sich genervt über die Klassengruppe(n) und berichten von 400-500 Nachrichten täglich
– etliche sagen, dass sie damit sehr viel Zeit verschwenden
– man verlässt die Gruppe und wird einfach wieder hinzugefügt, sodass man anfängt, Mitschüler zu blockieren
– zeitweise gibt es 9! Klassengruppen, weil jeder Admin sein will
– wenn man mehrere zu Admins macht, werfen die sich gegenseitig aus den Gruppen, wenn es Streit gibt, und den gibt es permanent
– alle sagen, dass in den Gruppen fast nur Müll geschrieben (hallo, hi, was macht ihr so?, is was in Deutsch auf?) wird und so gut wie nichts Brauchbares
– einer sagt „die Angst dauernd was zu verpassen, hat man nur, wenn man ein Smartphone hat“
– auf die Frage, ob sie online oder auf dem Handy schon Inhalte gesehen haben, die sie als unangenehm empfanden, kommt: Sexvideos, Gruselsachen, Pornos (mehrere Mädchen fragen, was das ist…), brutale Sachen, ein Video in dem ein Mann zu „can’t touch this“ seinen Penis schwingt (der Penis wird dabei peinlich-blumig umschrieben), Kettenbriefe mit Morddrohungen, sexuelle Übergriffe in Chats auf Minecraft-Servern, etc.
– wir beschließen, dass in der nächsten Klassenleiterstunde Chatregeln formuliert und als Poster ausgehängt werden.
Die Stunde ist in Nullkommanix vorbei. Auf die Frage, wer gerne jede Woche so eine Stunde hätte, melden sich alle.
Ich beschließe, dass ich mich noch öfter in dieser Klasse als Vertretung einteilen lassen werde, habe aber keine Hoffnung, dass sich das Problem damit in den Griff bekommen lässt – es sind eben noch Kinder, die mit dieser Technologie für Erwachsene schlicht überfordert sind.
Ach ja, wir haben aktuell sechs Klassen in der Jahrgangsstufe 5…
Noch Fragen?

Update 28.11.16: Heute die gleiche Aktion in einer weiteren fünften Klasse, diesmal Doppelstunde, identisches Ergebnis. Nach dem Gespräch über WhatsApp-Probleme frage ich die Nicht-WhatsApp-Nutzer, wie das für sie klang: „Nicht wie was, das man auch haben möchte…“

Update 10.02.16: Beim Elternabend einer fünften Klasse wurde beschlossen, WhatsApp auf allen Smartphones der Kinder zu löschen, weil es trotz aller Gespräche und Vereinbarungen heftig eskalierte („schlimme Wörter, Bilder und Videos“).

2 Gedanken zu „Smartphones überfordern Kinder – Bericht aus dem Unterricht

  • Günter Steppich

    Sie sollten das auf jeden Fall ansprechen, evtl. sind da auch strafbare Inhalte dabei und Kinder in diesem Alter können solche Botschaften meist nicht richtig einschätzen und bewerten. Die meisten Eltern haben überhaupt keine Ahnung, was auf den Handys ihrer Kinder alles kursiert.

  • Besler-Heer

    Sie sprechen mir aus der Seele. Mein Sohn besucht die 7. Klasse einer (teuren) Privatschule. Dort machen ständig rechtsradikale Witze und Filme die Runde im Klassen-Chat.Mein Sohn nervt das, aber er will auch in der Klassengruppe bleiben. Er zeigt mir die Inhalte, die ihm nicht gefallen und wir sprechen darüber. Er macht screenshots. Was kann man tun ? Ich hätte ja gute Lust, das beim kommenden Elternabend zur Sprache zu bringen.

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