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Indizierung von Mobbingseite reine Augenwischerei

Politiker und Medienkompetenz, zwei Welten…! Kaum hat man sich fertig gefreut, dass Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger eingesehen hat, dass der von prominenten Ministerkollegen geforderte „digitale Radiergummi“ eine völlig weltfremde, naive Unmöglichkeit ist, prescht das nächste Ministerium vor, setzt eine Mobbingplattform freudestrahlend „auf den Index“, und hat offensichtlich keine Ahnung, dass eine solche Maßnahme jedem mittelmäßig medienkompetenten Jugendlichen noch nicht einmal ein mitleidiges Lächeln wert ist.

Nachdem ein Berliner Schüler in einem Streit wegen Mobbing auf einer seit Jahresbeginn bekannten anonymen Mobbingplattform schwer verletzt wurde, wird die Seite nun also von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien „auf den Index gesetzt“. Klingt doch toll – allerdings nur, wenn man keine Ahnung hat!

Das Bundesfamilienministerium hatte die Indizierung nach eigenen Angaben „schon“ am 9. Februar beantragt – da war der größte (Presse-)Wirbel um die Seite längst abgeklungen. Jetzt wird das Mobbingportal in das sogenannte BPjM-Modul aufgenommen und von diversen Jugendschutz-Filterprogrammen erfasst. Indizierte Websites können zudem aufgrund einer freiwilligen Selbstverpflichtung der großen Suchmaschinenbetreiber über Google, Yahoo und Bing nicht mehr gefunden werden. Bei der Freiwilligen Selbstkontrolle der Multimedia-Dienstanbieter hieß es laut dpa allerdings, die Filterliste werde lediglich einmal im Monat aktualisiert, das nächste Mal erst wieder Mitte April.

Das spielt auch keine Rolle, denn nennenswerte Wirkung gegen Cybermobbing wird diese Maßnahme nicht erzielen, denn zum einen sind nur deutsche Suchmaschinen davon betroffen (www.google.com also nicht), zum anderen lässt sich die Seite weiterhin ganz einfach direkt aufrufen.

Das aktuelle Vorgehen ist v.a. Aktionismus infolge des Berliner Vorfalls und belegt die erschreckende Hilflosigkeit deutscher Politiker in Sachen Jugendmedienschutz. Es ist auch leider wieder einmal typisch, dass sich erst ein solch gravierender Vorfall ereignen muss, damit sich die Politik überhaupt zu einer Reaktion genötigt fühlt. Experten befürchten seit Auftauchen der Seite, dass übelste Mobbingattacken zu Suizidversuchen führen könnten.

Die Indizierung ist pure Augenwischerei: Kein Schüler sucht in Google nach der Seite, die Adresse verbreitet sich wie ein Lauffeuer über soziale Netzwerke, Messenger wie MSN und ICQ, SMS und Mundpropaganda.

Der einzige positive Effekt wird sein, dass diffamierende Einträge bei Namenssuchen in deutschen Suchmaschinen möglicher Weise nicht mehr auftauchen werden, auf google.com & Co. wird die Indizierung aber keinerlei Auswirkungen haben.Wie so häufig fehlt die Erkenntnis, dass sich das Internet – www heißt schließlich „World Wide Web“ und nicht „Willi will’s wissen“ – mit einer rein deutschen Lösung nicht reglementieren und kontrollieren läst.

Wirksamer Jugendmedienschutz lässt sich eben nicht über noch so gut gemeinte Gesetze erreichen, die Indizierung ist hier ebenso wenig hilfreich wie so manche völlig weltfremde Vorgabe des Jugendmedienschutzstaatsvertrags (Stichwort „Sendezeiten für Internetseiten“ oder „Alterkennzeichnung für deutsche Websites“).

Die Nutzung von Filtersoftware auf privaten Rechnern von Jugendlichen liegt im unteren einstelligen Bereich. Der Einsatz solcher Software kann auch die Nutzung problematischer Seiten nicht vollständig verhindern: Wer von zuhause nicht drankommt, geht zu einem Freund oder in ein Internetcafe oder gleich über das Handy online, auf dem inzwischen schon jeder 5. Jugendliche Internetzugang hat. Trotzdem rate ich den Eltern in meinen Vorträgen natürlich dringend, vor allem jüngere Kinder mittels solcher Programme zu schützen, aber ab einem gewissen Alter und der damit verbundenen Medienkompetenz finden die Jugendlichen schnell heraus, wie man welchen Filter unterläuft, ohne dass die Eltern das überhaupt mitbekommen. Am zuverlässigsten sind hier noch Lösungen wie z.B. surf-sitter, bei denen der Filter im Internetrouter implementiert ist und sich nicht über simpelstes und leicht er-google-bares Getrickse am Rechner aushebeln lässt.

Die in puncto Onlinemobbing aktivste Altersgruppe zwischen 15 und 17 wird sich nur durch Filterprogramme und Indizierung definitiv nicht von dieser Seite fernhalten lassen, echte Wirkung lässt sich nur mit kompetenter, flächendeckender Präventionssarbeit erzielen. Diese ist aber um Welten teurer als eine völlig nutzlose Indizierung, die sich dann öffentlichkeitswirksam als Schlag gegen Cybermobbing verkaufen lässt, und genau da liegt der deutsche Bildungshase im Pfeffer: Die Politik wird nicht müde zu betonen, welch hohen Stellenwert Bildung hat – nur kosten darf sie möglichst wenig!

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