ElternLehrer

Eltern und Digitale Medien

Generation Walkman meets Digital Na(t)ives

von Günter Steppich

Keine technische Entwicklung hat die Lebenswelt Heranwachsender auch nur annähernd so rasant und einschneidend verändert wie die multimedialen Bildschirmmedien. Im Vergleich zum technischen Umfeld der von Videorekorder, Walkman und CD-Player geprägten 80er Jahre offenbart sich heute ein wahrer digitaler Quantensprung. Eltern sind in dieser neuen Welt als Ratgeber und Kontrollinstanz dringend gefordert, aber in der Regel damit völlig überfordert. Der Artikel zeigt welche Themen auf Elternabenden zum Thema Medien angesprochen werden sollten, damit Kinder und Jugendliche in den digitalen Welten nicht alleine gelassen werden.

Anders als bei früheren technischen Neuerungen wie z.B. Auto, Telefon oder Fernseher hat sich zudem die Nutzung von Handys, Computern und Spielekonsolen durch Kinder und Jugendliche weitgehend verselbständigt, und vielen Eltern der „Generation Walkman“ bleibt angesichts der technischen Medienkompetenz der jungen „Digital Natives“ (Digitale Eingeborene) nur noch ungläubiges Staunen. Die Frage nach der Medienfitness ihrer Eltern beantworten 80% der Jugendlichen mit einem lapidaren: „Die haben keinen Plan!“ Bedingt durch fehlendes technisches Know-How, das wiederum 80% der Eltern in Umfragen freimütig einräumen, und die Tatsache, dass noch nicht einmal jeder zehnte Jugendliche zuhause von negativen Medienerfahrungen erzählt, nimmt ein Großteil der erziehenden Generation nicht wahr, dass die schöne neue digitale Welt neben atemberaubenden, nahezu grenzenlosen und kreativen positiven Möglichkeiten auch vielfältige Grenzüberschreitungen in Bereiche eröffnet, die Jugendschützer als hochgradig jugendgefährdend und entwicklungsbeeinträchtigend beurteilen.

Medienkompetent?

Kein klar denkender Mensch käme auf die Idee, sein Kind ohne Führerschein und Sicherheitsgurt ans Steuer eines Autos zu setzen, aber Millionen von Eltern ermöglichen ihren Kindern unkontrollierten Zugang zur Datenautobahn, ohne sie über die vielfältigen Risiken aufzuklären und ohne jeden Schutz vor jugendgefährdenden Inhalten.

Unter „Medienkompetenz“ versteht der Großteil der Eltern und Pädagogen vor allem technische Kompetenzen: Umgang mit Maus und Tastatur, Texte schreiben, Urlaubsfotos bearbeiten, Informationen „googeln“, Präsentationen erstellen, etc. Sicherheitsaspekte bleiben dagegen in der Regel außen vor. Die große Mehrheit hält mit der Installation eines Antivirenprogramms die Rechenmaschine für ausreichend abgesichert, und hat keinerlei Vorstellung von den vielen dunklen Ecken der digitalen Welten.

Auch im schulischen Bereich führt das Thema Jugendmedienschutz ein Mauerblümchendasein. Seit deutlich über einem Jahrzehnt bringen wir – um im obigen Bild zu bleiben – den Kindern und Jugendlichen eifrig das Autofahren bei, ohne ihnen dabei elementare Kenntnisse über  Verkehrsschilder, Sicherheitssregeln und rote Ampeln zu vermitteln; selbst der ECDL (Europäischer Computerführerschein) unterschlägt dieses Thema, vergleichbar einer Führerscheinprüfung ohne Kenntnis der wichtigsten Verkehrsregeln und –zeichen. Folglich befahren viele der „Digital Natives“ den Datenhighway in Wahrheit als „Digital Naives“ in digitalen Multimedia-Sportwagen ohne jegliche Sicherheitsausstattung. In der Fahrschule gibt es keine Praxisprüfung ohne zuvor bestandene Theorie, aber für die sichere Nutzung Neuer Medien gibt es weder eine verpflichtende Computerschulung, geschweige denn eine Theorieprüfung. Stattdessen wird nach dem Prinzip „Trial and Error“ einfach wild drauflos gefahren.

Viel zu langsam entwickelt sich die Einsicht, dass Medienkompetenz nicht nur technische Fertigkeiten beinhaltet, sondern insbesondere auch verantwortungsvollen und sicherheitsbewussten Umgang mit der digitalen Welt, der sich nicht per auf Technik reduzierte „Knöpfchenpädagogik“ vermitteln lässt, auf die sich aktuelle Lehrpläne beschränken.

Die dunkle Seite der schönen digitalen Welt

Und so melden sich zunehmend bereits Grundschüler, häufig unbemerkt von ihren Eltern, in Sozialen Netzwerken an und breiten dort ihr ganzes Leben in Wort, Bild und Video aus, 12jährige spielen Killerspiele ohne Jugendfreigabe und 15jährige sehen sich Hardcore-Pornofilme und reale Tötungsvideos im Internet an. Der tägliche Bildschirmkonsum von Jugendlichen ist in dermaßen haarsträubende Dimensionen vorgedrungen (15jährige Mädchen 6 Std, Jungen 7,5 Std.!), dass er deren Schulerfolg massiv beeinträchtigt: 8% aller 15jährigen Jungen gelten als computersüchtig, Experten beziffern die Zahl der computersüchtigen Jugendlichen in Deutschland auf ca. 600.000. Und im Web 2.0 mobbt sich auf Plattformen wie SchülerVZ und Facebook eine Schülergeneration, dass die Fetzen nur so fliegen. In aktuellen Umfragen gibt jeder Dritte an, bereits Opfer von Cybermobbing gewesen zu sein, gar jeder Zweite outet sich als Täter! Mehr als 1000 deutschsprachige Pro-Ana und Pro-Mia Websites verherrlichen Magersucht und Bulimie und stellen damit einen gefährlichen Katalysator für Autoaggressionen in Form von Essstörungen dar, weil diese Krankheiten mit Begriffen wie „Thinspiration“ („ich bin nicht krank, das ist mein Lifestyle!“) verharmlos und glorifiziert werden. Nicht zuletzt stellen auch Selbstmordforen und „Emo“-Seiten (Stichwort „Ritzer“) eine hochgradige Gefährdung für labile Jugendliche dar.

Durch die zunehmende Vollausstattung immer jüngerer Kinder mit Bildschirmmedien (Handy, Computer, Spielekonsole) weitet sich die Problematik inzwischen rasant auch im Grundschulbereich aus – in den letzten Jahren sank das Einstiegsalter in das Internet pro Kalenderjahr um etwa ein Lebensjahr.

Dermaßen unbedarfte Internetnutzung birgt für Eltern auch ein erhebliches finanzielles Risiko: In einem Urteil von 2008 bescheinigte das Landgericht München Eltern eine „Belehrungs- und Prüfungspflicht“ in Bezug auf die Nutzung eines Internet-PCs durch ihre Kinder und bezeichnete diesen als „gefährliches Gerät“, doch fataler Weise ist den meisten Eltern weder bewusst, dass ihre Kinder im Internet Rechtsverletzungen begehen könnten, noch dass sie für diese als Aufsichtspflichtige voll haftbar sind.

Infolge dessen steht die Aufklärung der Kinder durch die Eltern in krassem Gegensatz zur Ausstattung mit Hard- und Software. Immer jüngere Kinder werden heute mit digitalen Geräten geradezu überschüttet, ohne dass ihnen der richtige Umgang damit vermittelt wird. Und da sich v.a. Multimedia-Handys, iPods und mobile Spielekonsolen zu wichtigen Statussymbolen entwickelt haben, wird dem Quengeln schon der Kleinsten allzu schnell und unüberlegt nachgegeben, schließlich haben es „die anderen doch auch alle“.

Die Geister, die ich rief…

Wie Goethes Zauberlehrling stehen Eltern dann in der Regel völlig hilflos da, wenn das schöne neue digitale Spielzeug dem Nachwuchs plötzlich massive Probleme bereitet: Die medialen Geister, die sie selbst riefen, indem sie ihren Kindern arglos und in bester Absicht – man weiß ja schließlich, wie wichtig Medienkompetenz heutzutage ist! – Handys, Spielekonsolen und PCs kauften, und die Kinderzimmer mit Breitband-Internetanschlüssen versahen, werden sie nun alleine nicht mehr los. Aber der alte Meister aus Goethes Klassiker, der dem digitalen Spuk mit elegantem Schwung des Zauberstabs ein Ende machen könnte, ist nicht in Sicht.

Und so bleiben am Ende meiner zweieinhalbstündigen Elternabende zum Thema Jugendmedienschutz viele Eltern in einem Zustand zwischen rat- und fassungslos noch eine Weile sitzen, weil sich ihnen schlagartig ein Blickwinkel auf Probleme ihrer Kinder eröffnet hat, deren Ursache sie bis dahin nicht einmal ansatzweise auf Mediennutzung zurückgeführt hatten. Was sich in den Köpfen von Eltern abspielt, die plötzlich realisieren, dass sie die ungezügelte Mediennutzung ihres pubertierenden Kindes drastisch einschränken müssen, um den schulischen Super-GAU zu verhindern, lässt sich erahnen – ebenso wie die Reaktion des Nachwuchses.

Hier kommt erschwerend hinzu, dass moderne Eltern vielfach Hemmungen haben, dem Nachwuchs gegenüber mit der erforderlichen Stärke und Bestimmtheit aufzutreten. Mit demokratisch organisierten Familienkonferenzen lässt sich problematischer Medienkonsum jedenfalls nicht bändigen – hier sind glasklare elterliche Vorgaben unumgänglich, wie auch in allen anderen Bereichen, für die Erziehungsberechtige die alleinige Verantwortung tragen.

Aufklärung ist Prävention

Da die Medienproblematik die meisten Eltern offensichtlich überfordert, ist es dringend erforderlich, Kindern wie Eltern über schulische Medienbildungskonzepte einen kompetenten und verantwortungsbewussten Umgang mit den digitalen Medien nahe zu bringen. Aber während Aufklärungsarbeit mit Schülern und Schülerinnen sowohl leicht zu organisieren als auch effektiv ist, und von diesen auch dankbar angenommen wird, sind im Erwachsenenbereich beträchtliche Hürden zu überwinden:

Zum einen gibt es auch im Lager der Pädagogen nur wenige, die in dieser Materie wirklich zuhause und damit in der Lage sind, die dringend notwendigen Kompetenzen zu vermitteln – eine EU-Studie aus dem Jahr 2006 bescheinigt deutschen Lehrern im europäischen Vergleich nur geringe Medienaffinität und einen Rückstand von ca. 10 Jahren. Im OECD-Vergleich liegt Deutschland bei der Nutzung digitaler Medien im Unterricht auf dem letzten Platz!

Zum anderen kommen viele Eltern nicht freiwillig zu Infoveranstaltungen über Neue Medien, weil sie der festen Überzeugung sind, sie hätten kein Problem mit der Thematik. Obwohl zahlreiche aktuelle Studie (KIM, JIM, KFN) belegen, dass ca. 80% aller Jugendlichen von Problemen mit digitalen Medien betroffen sind, hat ebenso hoher Prozentsatz der Eltern keinerlei Kenntnis von diesen Vorgängen und damit auch kein Problembewusstsein, weil. Man muss sie daher mit viel Nachdruck und Verbindlichkeit geradezu „vorladen“, um ihnen das Problem in Wort und Bild drastisch vor Augen zu führen. In der Praxis bewährt haben sich Formulierungen wie: „Dieser Infoabend ist unverzichtbare Voraussetzung für eine erfolgreiche und sichere Mediennutzung Ihres Kindes in den kommenden … Jahren an der …schule und insbesondere auch zuhause. Ohne Ihre aktive Mitwirkung wird es der Schule nicht möglich sein, Ihr Kind vor diesen Gefahren umfassend und wirksam zu schützen! Sollten Sie daran nicht teilnehmen können, bitten wir daher um entsprechende Nachricht…“.

Intensive Präventionsarbeit ist also dringend notwendig, nicht zuletzt auch, weil die Schule zunehmend Computernutzung im häuslichen Umfeld einfordert. Ein flächendeckendes Fortbildungskonzept mit einem angemessenen Stundendeputat für Jugendmedienschutzbeauftragte ist gewiss nicht zum Nulltarif machbar, doch Sparpolitik im Bildungsbereich ist auf lange Sicht nicht nur pädagogisch, sondern auch wirtschaftlich gesehen ein gefährlicher Holzweg, denn Therapie ist immer teurer als Prävention. Wenn man bedenkt, dass ein einziger Computersüchtiger, der ohne Schulabschluss zum Sozialfall wird, den Staat im Lauf eines Hartz-IV-Lebens ca. eine Million Euro kostet, ist jeder präventiv investierte Cent in jeder Hinsicht gewinnbringend angelegt.

Quellen (Auswahl):

Hinweis: Dieser Artikel erschien auch in der Zeitschrift Computer + Unterricht Nr. 80, Spezial – Familie und Medien, 2010

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