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Mobbing per Instagram #Beichten

Du bist Schüler und postest oder kommentierst „Beichten“ auf Instagram?
Lies bitte unbedingt diese Hinweise => Beichtseiten-Bedienungsanleitung

Der eine oder andere Leser erinnert sich sicher noch an Seite „isharegossip“, die Anfang 2015 für Aufruhr sorgte, weil dort deutschlandweit, säuberlich nach Bundesländern, Städten und Schulen sortiert, im Schutz der Anonymität gemobbt wurde, was die Tasten hergaben. Die Seite wurde im Sommer 2015 stillgelegt, die Betreiber konnten nicht ermittelt werden, weil sie sich sehr geschickt über ausländische Server anonymisiert hatten.

Seitdem ist Cybermobbing keineswegs ausgestorben, es läuft aktuell über soziale Netzwerke, Messenger oder im Ausland gehostete Websites wie www.ask.fm.

Seit einigen Wochen gibt es einen neuen Trend, der über Instagram unter dem Hashtag #beichten läuft. Ganz neu ist das allerdings nicht, auf Facebook und auch Instagram gibt es schon seit längerem „Beichtseiten“, auf denen mehr oder weniger explizite sexuelle Geständnisse gepostet werden. Da Jugendliche Facebook kaum noch nutzen, spielen diese Seiten im Schulkontext jedoch keine Rolle.

Schüler haben dieses Konzept nun aber auf die Fotoplattform Instagram übertragen, um anonym sogenannte „Beichten“ – sprich Gerüchte, Lügen und andere Peinlichkeiten – über Mitschüler und Lehrkräfte zu verbreiten. Der Besitzer des Instagramkontos erhält über Privatnachrichten oder über anonyme Nachrichtendienste wie tellonym.de die „Beichten“ seiner Mitschüler. Da Instagram eine reine Foto- und Videoplattform ist, werden die Beichttexte in ein Bildformat umgewandelt und anschließend gepostet. Religiöse Motive sucht man vergeblich…

Während ich diesen Text tippe, verzeichnet die Instagram-Suche nach dem Hashtag #beichten über 10.000 öffentliche Treffer, die Zahl der Schul-Beichtaccounts hat in den letzten Wochen deutlich zugenommen.

Die Inhalte der Beichtgeständnisse variieren von harmlosen Witzen bis hin zu persönlichen Beleidigungen und Unterstellungen, in denen Klarnamen genannt werden.

Seit Mitte Februar erhalte ich zunehmend Anfragen von Schulen zu diesem Phänomen, in einigen dieser Fälle wurde Anzeige erstattet, weil u.a. Lehrkräften öffentlich und unter vollem Namen kriminelle Neigungen unterstellt wurden (Beispiel links).

Den Betreibern dieser Seiten ist meist nicht bewusst, dass sie auf Instagram keineswegs anonym agieren, sondern dass hier IP-Adressen gespeichert werden, welche die Polizei im Fall einer Strafanzeige bei Instagram per Auskunftsersuchen abfragen kann. Werden für das Zusenden der Beichten deutsche Seiten wie Tellonym.de verwendet, ist diese Abfrage noch erheblich einfacher, denn Tellonym erklärt in seiner FAQ ausdrücklich, dass die IP-Adressen gespeichert und auf Anfrage der Polizei übergeben werden. Auch über die zur Anmeldung bei Instagram verwendeten Handynummern oder E-Mail-Adressen können die Besitzer der Accounts ermittelt werden. Doch naiver Weise werben die meisten Accounts mit dem Versprechen „100 % anonym“.

Dazu kommen andere Instagram-User, die zu diffamierenden „Beichten“ abfällige Kommentare abgeben, aber dabei offensichtlich nicht auf dem Schirm haben, dass ihre Nicknames (z.B. Vorname plus Geburtstag!) und/oder Profilbilder ihre Identität verraten… Tipp dazu: Es ist durchaus hilfreich, zuerst das Hirn einzuschalten und dann das Internet… 😉

Neben der Pseudoanonymität sind den Betreibern dieser Seiten auch die schul-, zivil- und strafrechtlichen Hintergründe ihrer Veröffentlichungen i.d.R. nicht oder nur ansatzweise bewusst. So macht es z.B. auch keinen Unterschied, ob ein solcher Account öffentlich sichtbar oder privat eingestellt ist: Sobald einer der Abonnenten „petzt“ und die von Beleidigung, übler Nachrede oder Verleumdung Betroffenen oder die Schulleitung informiert, etwa mithilfe von Screenshots, wird die Angelegenheit juristisch exakt so behandelt als wären die diffamierenden Beiträge öffentlich sichtbar gepostet worden. Dass der Inhaber des Accounts als Betreiber rechtlich für die von ihm geposteten Inhalte verantwortlich ist, auch wenn ihm die Aussagen von Dritten zugetragen wurden, ist den „Beichtvätern“ in der Regel ebenfalls nicht klar.

Update 24.3.: 4 Fälle, viermal Erfolg mit diesem Hinweis per Instagram-Direktnachricht

In meinem ersten Fall mit einer öffentlich sichtbaren Schulbeichten-Seite auf Instagram habe ich den Betreiber über die angegebene Tellonym-Adresse angeschrieben, ihm die Straftaten erklärt, die auf seinem Account begangen werden und erklärt, wie er im Fall einer Anzeige ermittelt wird. Innerhalb einer Viertelstunde waren alle Posts gelöscht und es antwortete ein höflicher 13-jähriger mit dem Hinweis, er sei ja noch nicht strafmündig. Der Hinweis, dass ihn das nicht vor schulischen Konsequenzen und zivilrechtlichen Ansprüchen auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld schützt, machte ihn sichtlich betroffen und er folgte meinen Rat, sich selbst gegenüber der Schulleitung zu outen, bevor die Polizei ins Spiel kommt. Auf die Empfehlung, es seinen Eltern zu erzählen, bevor sie es über die Schule erfahren, meinte er, diese würden da „wohl sehr empfindlich reagieren“… Die betroffene Schule hat das Thema anschließend v.a. pädagogisch und nicht juristisch aufgearbeitet, unter anderem mit den ausgezeichneten Materialen von Klicksafe zum Thema Cybermobbing.

In einem anderen Fall wurde ein verantwortlicher Schüler ermittelt und Strafanzeige gestellt, zudem erwartet ihn eine Ordnungsmaßnahme auf einer Skala von Querversetzung, Ausschluss von der Klassenfahrt bis hin zum Schulverweis! Ob man juristisch gegen solche Fälle vorgeht, sollte allerdings sehr sorgfältig abgewägt werden. Zum einen handelt es sich zumeist um 13/14-jährige Jugendliche, die alterstypisch nicht wirklich wissen, was sie da vermeintlich „cool“ tun, zum anderen kann der Schuss auch nach hinten losgehen, wenn Diffamierungen dadurch in der Öffentlichkeit größere Aufmerksamkeit finden und schlimmstenfalls in die Medien geraten.

Meine bevorzugte Lösung: Nach einem ausführlichen Instagram-Chat per Direktnachricht mit den 13jährigen „Admins“ steht am Ende ein sehr positives Ergebnis ohne Strafanzeige, Ordnungsmaßnahme etc. Die beiden kennen auch noch die „Beichtväter“ einer Nachbarschule und bringen diese ebenfalls auf diese Linie.

Viele dieser Fälle könnten vermieden werden, wenn Prävention zum Thema Mobbing/Cybermobbing in den Lehrplänen der Schulen zum Pflichtprogramm gehören würde. Verglichen mit dem zwischenmenschlichen Schaden, den solche Vorfälle anrichten können und dem hohen Aufwand für deren Aufklärung und Aufarbeitung, ist der Zeitbedarf für die Präventionsarbeit deutlich geringer. Schon in einer einzigen Doppelstunde kann man SchülerInnen erfolgreich vermitteln…

  • …welche gravierenden Auswirkungen solche Aktionen auf die Betroffenen haben können
    (von Stress, Schulangst, psychosomatischen Beschwerden, Depression bis hin zu Selbstmord oder gar Amoklauf),
  • …welche Konsequenzen Tätern drohen (schul-, zivil-, strafrechtlich)
  • …warum man sich mitschuldig macht, wenn man Mobbing wahrnimmt, aber nicht dagegen einschreitet (unterlassene Hilfeleistung),
  • …und wie man sich richtig verhält, wenn man selbst von (Cyber-)Mobbing betroffen ist.

Eine Powerpointpräsentation für diesen Zweck stelle ich auf dieser Seite schon seit 2011 zur Verfügung.

Es ist ebenso bedauerlich wie überflüssig, dass sich im Jahr 2017 immer noch zahllose Fälle von Mobbing und Cybermobbing ereignen, weil niemand die Jugendlichen für dieses brisante Thema sensibilisiert hat!

So kann es auch ausgehen 🙂

P.S.: Ich habe lange darüber nachgedacht und mir ist bewusst, dass dieser Artikel evtl. Trittbrettfahrer animieren kann. Erfahrungsgemäß ist dieser Trend aber ohnehin nicht aufzuhalten, und ich hoffe, hiermit die eine oder andere Schule zu Präventionsarbeit anregen und den einen oder anderen Schüler davon abhalten zu können, sich online auf juritisches Glatteis zu begeben. Alle Menschen sind klug, manche vorher, andere erst hinterher… mir gefällt die erste Variante besser.

8 Gedanken zu „Mobbing per Instagram #Beichten

  • Günter Steppich

    Das geht doch aus dem Artikel hervor ?

  • Jossi

    Wirklich sehr interessant der Artikel.
    Doch trotzdem stellt sich mir eine Frage:
    Es die ganze Sache erlaubt, wenn weder jemand beleidigt, noch Nsmen veröffentlicht werden?

  • Günter Steppich

    Danke für die schöne Rückmeldung 🙂
    Es gab eine Menge Anfragen und Feedback per Mail/Kontaktformular.

    Grüße
    Günter Steppich

  • Gibt es hier bislang wirklich nur 4 Kommentare in 7 Monaten? Erstaunlich.

    Ganz, ganz vielen Dank für die fundierten und breit gefächerten Informationen! Ich werde sie nutzen und bin was die Strafbarkeit von Beleidigungen in geschlossenen Nutzergruppen angeht, auch auf mir Neues gestoßen.

    Super!

    M.Ke

  • Günter Steppich

    Hallo, wie im Artikel beschrieben, habe ich die Accounts über instagram-Direktnachricht angeschrieben und dort den Link zu meinem zweiten Artikel mit den rechtlichen Hintergründen geschickt

  • Luisa Fotopoulos

    Ein sehr hilfreicher Artikel. vielen Dank!
    An unserer Schule gibt es die beichten Seite, Lehrer werden per Namen genannt und diffamiert, ich (Lehrerin) habe die Schülervertreter gebeten, den Urheber*innen zu sagen, dass sie die Beiträge mit Beileidigunen löschen sollen, da wir sonst Strafanzeige stellen. Einige wurden gelöscht, aber nicht alle. Was können wir (Schule) tun? (Außer der Thematisierung im Unterricht.) Wie kann ich die Admins erreichen, so wie Sie es geschildert haben?
    Die Inhalte der Seite sind für uns als Schule beschämend.

  • Günter Steppich

    klar, kein Problem

  • Coole Artikel, find ich nice. Darf ich deine Bilder für ein Schulprojekt über Instagram benutzen?

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