Dating Apps und Live Streaming aus dem Kinderzimmer
=> Download als pdf: Der Elternbrief der Gutenbergschule Wiesbaden vom 15.01.15 zu Dating Apps und Live Streaming aus dem Kinderzimmer (darf gerne kopiert und weiter verteilt werden)
Liebe Eltern,
zu diesem Thema rede ich mir seit Jahren den Mund fusselig, aber es wird immer haarsträubender… :-/
Es erscheinen immer wieder neue Plattformen, auf denen sich die Kids, v.a. die Mädchen, digital entblößen – meist „nur“ in Bezug auf Daten und Privatsphäre, in manchen Fällen leider auch mit zu viel Haut… Vor Weihnachten habe ich mir noch Gedanken um Dating Apps wie Tinder und Lovoo gemacht, welche zunehmend von Teenies genutzt werden, die sich darin erschreckend offenherzig präsentieren, siehe Screenshots (aus der Dating-App Lovoo). Rechnet man die aktuelle Zahl von 32 Nutzern hoch, die Lovoo für die Stadt Eltville ausgibt, nutzen aktuell über 10.000 hessische Schülerinnen und Schüler diese App!
Aber nun wurde ich durch einen bekannten Youtuber auf einen weiteren Trend aufmerksam, www.younow.com, Live Streaming aus dem Kinderzimmer!
Ich kannte diese Plattform bisher als Streamingtool für bekannte Youtuber, aber über die Weihnachtsferien wurde sie offensichtlich unter deutschen Kids als Chatplattform viral populär, das zeigt auch das Ranking der „Trending Tags“, bei denen „#deutsch“, „#deutschland“, „#deutschgirl“ und „#deutsch-girl“ in den Top 10 rangieren. Klickt man sich durch die deutsche Userliste, stellt man fest, dass die große Mehrheit sich im Dezember und Januar registriert hat.
Es ist inzwischen für die entsprechend orientierte Klientel gar nicht mehr nötig, Webcams per Trojaner zu hacken oder Kids von Chatplattformen auf Skype zu locken – die Kids liefern jetzt selbst, und das praktischer Weise auch noch in Kategorien wie #deutsch-girl! Zudem werden die Streams aufgezeichnet und stehen anschließend auf YouNow als Video zur Verfügung! Eine Option, um das abzustellen oder die Videos zu löschen, gibt es ziemlich versteckt unter „Profile – Broadcasts“, dort findet sich rechts oben im Video ein kleiner Pfeil, über den man „Delete“ findet.
Sie plaudern arglos vor jedermann ihr halbes Privatleben aus, nutzen dabei häufig ihre echten Vor- und Nachnamen, nennen Alter, Wohnort, Schule, Geschwister, Hobbies und natürlich auch ihre Profile auf Facebook, Instagram, Snapchat und Twitter – dass es im Internet auch zahlreiche schräge Vögel gibt, denen man auf der Straße nicht begegnen möchte, ist den wenigsten bewusst! Der Youtuber „Tooncraft“ im Video unten bringt es eindringlich auf den Punkt!
Aber warum tun die Kids das? Es geht um Anerkennung und Bestätigung, um Likes, Friends, Fans und Follower. Auf YouNow gibt es zudem ein Ranking, je mehr Zuschauer mein Stream hat, je mehr Fans ich habe, desto weiter oben bin ich platziert. Man muss nicht mehr hoffen, irgendwann mal in einer Fernsehshow auftreten zu können, man macht sich das Fernsehen einfach selbst, und das geht im wahrsten Sinn des Wortes kinderleicht.
Wenn man sich durch die Userprofile klickt, sieht man, dass die Plattform sich während der Weihnachtsferien viral unter Jugendlichen (und auch Kindern) verbreitet hat, die meisten haben sich im Dezember und Januar angemeldet. Und die Pädophilen hängen auch schon drin, wie man in den Chats mitverfolgen kann. Da geben sich viele als Teenies aus, sind aber von der Sprache her (Groß- Kleinschreibung, Zeichensetzung) und durch eindeutige Fragestellungen leicht zu erkennen – für mich vielfach auf den ersten Blick, für die Kids meist erst, wenn die Äußerungen unmissverständlich werden.
Ich kann Ihnen allen daher nur immer wieder ans Herz legen: Schauen Sie hin, was Ihre Kinder im Netz machen, überlegen Sie genau, in welchem Alter Sie den Kindern diese Technologie zur Verfügung stellen, und halten Sie die Kinderzimmer bildschirmfrei – insbesondere Abends und Nachts – Sie glauben nicht, wieviele Kids da gestern noch um Mitternacht live aus dem Kinderzimmer sendeten…Ein ausführliches Gespräch über die Wahrung der Privatspäre im Netz und die Tatsache, dass es, wie auf der Straße, auch im Internet jede Menge zwielichtige Gestalten mit gefährlichen Neigungen gibt, gehört aus meiner Sicht heute zur elterlichen Erziehungspflicht.
Das Thema ließ mich ausgesprochen schlecht schlafen, und als ich um 6 Uhr genervt aufstand, waren die ersten Kids schon vor der Schule online und ließen sich beim Schminken zuschauen… Andere streamen auf dem Schulweg oder live aus der Schule (und 243 sehen zu), da wird dann auch der ein oder andere Lehrer prominent…
Konkret empfehle ich Ihnen, mit Ihren Kindern insbesondere folgende Aspekte zu besprechen:
- Zur Anmeldung in Apps und bei Websites eine zusätzliche, neutrale Emailadresse anlegen, die keine persönlichen Angaben wie Name, Alter, Geschlecht preisgibt
- Sichere Passwörter verwenden
- In Apps und auf Websites NIEMALS unter dem echten Namen agieren, das betrifft aktuell v.a. Facebook, Instagram, Snapchat sowie die oben genannten Portale
- In Chats keinerlei persönliche Informationen (Wohnort, Schule, Hobbies) an Unbekannte herausgeben
- Keine Fotos in sexy Posen (s.o.) per Handy verschicken oder online stellen
- Live ist LIVE, wie bei einer Fernsehsendung: hier lässt sich nichts löschen oder zurücknehmen! Man muss dabei sehr überlegt vorgehen und verplappert sich sehr leicht – insbesondere wenn man jung und unerfahren ist!
Meine Empfehlungen in puncto digitale Ausstattung an Sie als Eltern:
- Entscheiden Sie sehr bewusst, in welchem Alter Sie ihrem Kind zutrauen, mit den unendlichen digitalen Möglichkeiten selbständig, reflektiert und verantwortungsvoll umzugehen.
- Platzieren Sie Computer mit Internetzugängen nicht im Kinderzimmer
- Sammeln Sie Handys und mobile Spielekonsolen abends ein! Eine 7. Klasse hat mir erst kürzlich in einer Vertretungsstunde erzählt, dass in ihrer WhatsApp-Gruppe an Wochentagen zwischen 22 und 6 Uhr bis zu 500 (!!!) Nachrichten auflaufen! Handys und Spielekonsolen über Nacht im Kinderzimmer führen unweigerlich zu Schlafmangel.
- Ein Smartphone mit Internetflat (aber auch mit Internet per WLAN) öffnet ihrem Kind die Tür zur
Erwachsenenwelt – und zwar komplett! In welchem Alter wollen Sie das Ihrem Kind zumuten? - Die Behauptung, „alle haben das, alle dürfen das“ ist heute wie vor 30 Jahren nur DAS Killerargument, um Eltern ein schlechtes Gewissen zu machen. In unseren Fünften Klassen nutzt ein Drittel der Kinder WhatsApp. Auch in der Klassenstufe 8 gibt es etliche Schüler ohne Internetflat auf dem Smartphone, und sogar einige komplett ohne Handy.
- Hätte ich selbst noch Schulkinder im Haus, wäre mein Konzept: Handy ab Klasse 5,
Smartphone mit 14, mobile Internetflat mit 16. Das ist eine sehr konservative Strategie, damit liege ich allerdings auf einer Linie mit IT-Profis wie Bill Gates und Steve Jobs!
Günter Steppich
mehr Infos zur Medienerziehung im Elternflyer => https://www.medien-sicher.de/wp-content/uploads/2009/02/Infoblatt_Jugendmedienschutz_Flyer.pdf
=> Empfehlung: Der Klicksafe-Leitfaden „Internetkompetenz für Eltern“
https://www.youtube.com/watch?feature=player_profilepage&v=hwxz41AjDmE
Oder mit den Worten von LeFloid: „Machst du erst deine Kopf an, dann den Internet!“ 😀
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