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Wie gelingt Erziehung?

Vorwort

Nachdem allgemeine Erziehungsfragen bei meinen Medienelternabenden in den letzten Jahren immer mehr Raum eingenommen haben, wage ich nun an dieser Stelle den Versuch, mein persönliches Konzept zum Umgang mit Kindern und Jugendlichen einigermaßen kompakt zusammen zu fassen. Das war schwieriger als gedacht und am Ende sind dann doch fünf DIN-A4-Seiten dabei herausgekommen.

Obwohl das Konzept sich im Rückblick in der Schule, im Sportverein und in der Familie bewährt hat (was mir meine inzwischen erwachsenen Kinder auf Nachfrage erfreulicher Weise glaubhaft bestätigt haben), will ich hier keinen Stein der Weisen und den einzig wahren Weg verkaufen, aber ich kann immerhin versichern, dass dieses Konzept bei uns wirklich gut funktioniert hat und dass meine Kinder ihre Eltern heute immer noch mögen. 🙂

Spielentscheidend war dafür definitiv die Tatsache, dass meine Frau und ich uns diesbezüglich weitestgehend einig waren und unsere Kinder nicht mit konträren Erziehungsstilen klarkommen mussten, denn das macht die Situation für alle Beteiligten immens schwierig.

Über mich

Verheiratet, zweifacher Vater (Tochter & Sohn), Englisch- und Sportlehrer sowie Medienpädagoge an der Gutenbergschule Wiesbaden, Leiter der Schulband, Basketballtrainer, Hobby-Gitarrist und Sänger.

Einstieg: Das Ratgeberdilemma

Wer bei Onlinebuchhändlern nach „Erziehungsratgeber“ sucht, findet aktuell tausende von Titeln, die zahllose unterschiedliche Erziehungskonzepte propagieren, zum Teil in Romanlänge. Wer hier Hilfe in Erziehungsfragen sucht, hat eine gute Chance, hinterher von widersprüchlichen Konzepten diverser Erziehungsgurus noch verunsicherter zu sein als vorher. Die in der Literatur meistgenannten Schlagwörter „Regeln, Grenzen, Konsequenzen, Gelassenheit, Nähe, Respekt, Liebe, Loslassen und Haltgeben“ scheinen auf den ersten Blick unvereinbar und erwecken den Eindruck, erfolgreiche Erziehung sei ein unmöglicher Spagat, der Eltern unausweichlich in den Wahnsinn treiben muss.

Bei näherer Betrachtung und auch im persönlichen Rückblick auf meine eigenen Erziehungsversuche, lassen sich all diese Zutaten allerdings sehr wohl und ganz ohne Zaubertricks und Verrenkungen erfolgreich vermengen.

Erziehung mit Stil

Grundlage meines persönlichen Erziehungsstils, als Vater wie als Lehrer, war die langjährige Arbeit als Jugendtrainer von Basketballmannschaften, in der ich seit meinem 15. Lebensjahr bis heute aktiv bin. In diesem Job lernt man zwangsläufig und frühzeitig, welche Konzepte funktionieren und welche nicht: Führt und fordert man als Coach zu wenig (entsprechend dem „Laissez-faire“-Erziehungsstil), entwickeln sich die Spieler nicht optimal, schöpfen ihr Potential nicht aus und das Team ist nicht erfolgreich. Tritt man dagegen autoritär und undemokratisch auf, trifft Entscheidungen über die Köpfe seiner Spieler hinweg und begründet diese nicht, verlieren die Spieler die Lust und verlassen schließlich das Team. Bei beiden Varianten verlieren sie den Respekt vor dem Trainer bzw. entwickeln ihn erst gar nicht. Kinder können unter solchen Bedingungen zwar nicht die Familie verlassen, sie verabschieden sich dann aber meist innerlich von ihren Eltern. Erziehung kann nur gelingen, wenn die Beziehung zwischen Eltern und Kind stimmt.

Halt geben, Leitplanken bauen

Ein Trainer muss demnach einen Führungsstil zwischen diesen beiden Extremen finden, der das Potential seiner Spieler optimal entwickelt, ihnen Einblick in seine Entscheidungen vermittelt und eine gewisse Mitsprache dabei einräumt. Er muss aber auch am Ende als Teamverantwortlicher Entscheidungen treffen, Regeln und Grenzen festlegen und bei der Ahndung von Fehlverhalten konsequent, gerecht und sachlich-unaufgeregt handeln – auch wenn gerade der letzte Aspekt alles andere als leicht umzusetzen ist, insbesondere in Situationen, bei denen Emotionen und Stresshormone im Spiel sind. Dabei muss er alle Spieler gleichermaßen wertschätzend und respektvoll behandeln und ihnen bewusst machen, dass das Team nur mit einem gemeinsamen Gesamtkonzept und unter der Einhaltung von Absprachen und Regeln erfolgreich sein kann. Beispiele dafür: Pünktlich zum Training und zu Spielen erscheinen; taktische Vorgaben diszipliniert umsetzen; Mitspieler, Gegner und Schiedsrichter respektvoll behandeln; den Erfolg des Teams über persönliche Wünsche stellen können, etc. All diese Grundsätze lassen sich eins-zu-eins auf die Erziehungssituation in der Familie übertragen.

Konzepte und Regeln sind Leitplanken, sie geben Spielern Halt und Sicherheit und tragen so zur Entwicklung von Selbstvertrauen bei. Sie werden im Training erarbeitet und verfestigt, doch beim Spiel muss der Trainer loslassen, seinen Spielern Verantwortung übertragen und Vertrauen geben, sie selbständig Entscheidungen treffen und daraus lernen lassen. Hier kann er nur noch begrenzt durch Spielerwechsel und Auszeiten Einfluss nehmen.

Damit wäre der oben genannte Schlagwortkatalog aus der Erziehungsliteratur vollständig abgearbeitet:
„Regeln, Grenzen, Konsequenzen, Gelassenheit, Nähe, Respekt, Liebe, Loslassen und Haltgeben“.

Vorbildfunktion

Was in dieser Liste allerdings noch fehlt, ist der in meinen Augen spielentscheidende Aspekt: Die Vorbildfunktion des Trainers nach dem Leitsatz „live what you preach!“. Spieler brauchen einen Leitwolf, an dem sie sich orientieren und zu dem sie aufschauen können. Ein Coach, der nicht selbst konsequent vorlebt, was er von seinen Spielern einfordert, macht sich unglaubwürdig, wird nicht respektiert und kann am Ende nicht erfolgreich sein, weil ihm das Team nicht folgt. Karl Valentin brachte es auf den Punkt: „Wir brauchen unsere Kinder nicht erziehen, sie machen uns sowieso alles nach!“

Dieses Führungskonzept lässt sich aus dem Sport auf die elterliche Erziehung, aber auch auf den Unterrichtsstil von Lehrkräften übertragen. In all diesen Bereichen ist meine persönliche Erfahrung, dass Kinder und Jugendliche starke Persönlichkeiten als Vorbilder respektieren und anerkennen. Wenn Schüler sich über Lehrkräfte beklagen, hört man häufig „der/die kann sich nicht durchsetzen“, die Rolle als Respekts- und Führungsperson wird also ausdrücklich eingefordert – was nicht heißt, dass man mit deren Entscheidungen immer glücklich ist.

Bei allem Bemühen um gute Erziehung müssen und können Eltern niemals perfekt sein! Selbstbewusste Kinder kommen auch mit den Macken und Schrullen ihrer authentischen Vorbilder zurecht, die getrost ab und zu ein bisschen vom Sockel fallen dürfen. (Danke Ulla Wolf für diesen wichtigen Hinweis, den ich gerne ergänzt habe. 🙂 )

Regeln, Grenzen, Konsequenzen und Killerphrasen

Besonders problematisch ist es, wenn Regeln und Grenzen zwar klar definiert sind, bei Verstößen aber nicht konsequent reagiert wird. Typische „Killerphrasen“ sind hier „das habe ich dir schon tausend Mal gesagt“, „wie oft muss ich dir das noch sagen?“ oder „muss ich dir das jetzt noch zehn Mal sagen?“, Sätze mit eingebauter Inkonsequenz, die implizieren, dass man schon deutlich zu oft geredet anstatt gehandelt hat. Dass man sich damit keinen Respekt erwirbt, liegt auf der Hand. Verhält sich ein Basketballspieler auf dem Spielfeld falsch, wird er ausgewechselt, bekommt den Fehler erklärt und wird mit konstruktivem Feedback wieder eingewechselt. Begeht er denselben Fehler erneut, wiederholt sich der Vorgang, wobei die Pause auf der Bank länger wird oder das Spiel für den Spieler ganz beendet ist, wenn er den Fehler nicht abstellen kann oder gar will. Dann muss im Training intensiv an den Defiziten gearbeitet werden. Grundsätzlich lässt sich mit Lob für gute Aktionen („positive Verstärkung“) mehr erreichen als mit Tadel, aber in manchen Situationen ist klare Kritik an Fehlverhalten unvermeidlich – diese muss dann aber sachlich und konstruktiv geäußert werden, d.h. mit konkreten Hilfen zur zukünftigen Vermeidung des Fehlers.

Dieses konsequente Handeln ist keineswegs mit autoritärem, herrischem Auftreten und überzogener Strenge zu verwechseln: Erfolgreiche TrainerInnen, LehrerInnen, Mütter und Väter strahlen Autorität aus, ohne sich autoritär zu verhalten. Sie alle müssen in Situationen, für die sie allein die Verantwortung tragen, auch letztlich die Entscheidungen treffen und damit ihre Verantwortung wahrnehmen.
[Anmerkung: Für Eltern hat der Gesetzgeber dies in Artikel 6, Absatz 2 des Grundgesetzes festgeschrieben: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvorderst ihnen obliegende Pflicht“. Die Verletzung dieser Fürsorge- und Erziehungspflicht ist nach deutschem Strafrecht (§ 171 StGB) sogar ein Vergehen, das mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft werden kann.]

Da Erwachsene über einen deutlich größeren Erfahrungsschatz und Lebenshorizont verfügen als Kinder und Jugendliche, können sie viele Situationen besser beurteilen und sind letztlich verpflichtet, manchmal Entscheidungen zu treffen, die Kinder am Ende eines Meinungsaustauschs nicht nachvollziehen können, gegen die sie heftig protestieren, sich furchtbar aufregen – das muss man dann zum Wohl des Kindes aushalten, konsequent aber entspannt bleiben und dem Kind in aller Ruhe erklären, dass es Dinge gibt, die Kinder eben noch nicht abschätzen und beurteilen können. Meine Kinder waren z.B. von der Begrenzung ihrer Bildschirmzeiten wenig begeistert; heute, als junge Erwachsene, bewerten sie das heute rückblickend als genau richtig, auch weil sie Freunde erlebt haben, bei denen sich das Fehlen dieser Beschränkung sehr negativ ausgewirkt hat – manche Saaten müssen eben erst einige Jahre reifen, bevor man die Ernte einfahren kann.

Obwohl, oder vielmehr weil solche Situationen von den Kindern, und natürlich auch von den Eltern, als negativ und unbefriedigend empfundenen werden, liegt in ihnen ein extrem wichtiges Lern- und Erziehungsziel, nämlich der Umgang mit Misserfolgen und Frustrationen. Wenn Kinder zuhause immer ihren Willen durchsetzen können, werden sie sich nur schwer in anderen Gemeinschaften zurechtfinden, in denen man sich immer wieder zurücknehmen, eigene Bedürfnisse Gruppenzielen unterordnen und sich Autoritäten unterordnen muss. Und wer selten oder nie Schwierigkeiten erlebt, kann auch nicht lernen, trotz Schwierigkeiten nicht aufzugeben. Der Stones-Titel „You can’t always get what you want“ bringt es auf den Punkt: “But if you try sometimes, well, you might find, you get what you need”. Eigenschaften wie Selbstbewusstsein, Durchsetzungsvermögen, Beharrlichkeit und Verantwortungsbewusstsein können Kinder schwerlich entwickeln, wenn sie diese nicht bei ihren Eltern erleben, es sei denn, sie orientieren sich diesbezüglich an anderen Vorbildern außerhalb der Familie. Und nur auf Basis dieser Eigenschaften kann sich die so wichtige „Resilienz“ entwickeln, d.h. die psychische Widerstandsfähigkeit gegenüber Krisen, Misserfolgen und anderen unangenehmen Erfahrungen.

Selbstvertrauen ist der Schlüssel zum Erfolg

Auf die Frage, wie sie sich ihre Lehrkräfte wünschen, nennen Jugendliche folgende Eigenschaften: Humor, Gelassenheit, Gerechtigkeit, Freundlichkeit, Interesse an mir und Durchsetzungsvermögen. Einen Grund, warum diese Wunschliste nicht auch für Eltern zutreffen sollte, sehe ich nicht. Auch hier scheint zwischen Durchsetzungsvermögen und den anderen Eigenschaften ein Widerspruch zu bestehen, dem ist aber nicht so: Kinder mögen und brauchen starke Vorbilder, zu denen sie aufsehen können, an denen sie wachsen, sich orientieren und auch reiben können, um selbst stark und selbstbewusst zu werden – starke Kinder werden deutlich seltener Opfer von Mobbing oder Ausgrenzung als andere und sie sind auch unempfindlicher gegenüber angesagten Trends und Statussymbolen. Starke Vorbilder können wiederum das Killerargument „alle haben/dürfen das“ (die urälteste Kinderlüge der Welt, wenn alle Argumente versagt haben…) entspannt abtropfen lassen, z.B. mit Hinweis auf Steve Jobs (Gründer von Apple), der sagte: „Ich will eine Kerbe im Universum hinterlassen!“ Dieses Ziel hat er nicht erreicht, weil er sich immer an anderen orientierte, sondern weil er von Gruppenzwängen unbeeindruckt war und nach dem Motto „think different“ lebte, mit dem er unter anderem Apple vor dem Konkurs rettete. Respekt und Anerkennung verdient man sich nun einmal nicht, indem man der Herde hinterher läuft, und er lässt sich auch nicht durch Statussymbole wie Markenklamotten oder Smartphones (er)kaufen.

In ihrer Entwicklung sollte man Kindern so viel Vertrauen entgegenbringen wie möglich, aber auch so viel Kontrolle wie nötig. So viel Anerkennung wie möglich, aber auch Kritik, wenn nötig. So viel Selbständigkeit wie möglich und so viel Führung wie nötig. Zur wirksamen Förderung ist manchmal auch Forderung nötig und hilfreich, wenn das Kind noch zu wenig Zutrauen zu sich selbst hat.

Die Eckpfeiler einer positiven Atmosphäre

Zusammengefasst ergeben sich fünf Eckpfeiler einer positiven Atmosphäre, die für jedes soziale Umfeld gelten, ob Familie, Schule oder Sport- und Musikgruppen, aber auch im Beruf:

  1. Ein entspanntes Klima schaffen
  2. Verantwortung & Vertrauen geben
  3. Gemeinschaft & Individualität fördern
  4. Leistungen anerkennen und Kritik konstruktiv formulieren
  5. Regeln vereinbaren & durchsetzen

Wie stärke ich das Selbstvertrauen meines Kindes?

Die Entwicklung von Selbstvertrauen lässt sich bereits bei Kleinkindern fördern, indem man ihnen kleine Aufgaben überträgt, z.B. im Haushalt, die sie selbständig lösen können, und sei es nur, einen Plastikteller aus der Spülmaschine auf einen Tisch oder Stuhl zu legen. Misslingt eine solche Aufgabe, ermuntert man es, dasselbe gleich noch einmal zu versuchen.

Eine vielseitige Freizeitgestaltung mit zahlreichen sozialen Kontakten unterstützt die Entwicklung des Selbstwertgefühls in hohem Maß. Durch Sport, Musik, Kunst, Theater und andere Aktivitäten finden Kinder und Jugendliche heraus, wo ihre Stärken und Schwächen liegen, sie erleben, dass intensives Training und Üben sich auszahlen, und erhalten vor allem Anerkennung in ihrer eigenen Altersgruppe, die gerade in der Pubertät noch weitaus wichtiger ist, als Lob von Eltern oder Lehrkräften. Gute Leistungen in der Schule, so wichtig sie auch für die berufliche Zukunft sein mögen, spielen für das Ansehen bei Freunden und Mitschülern kaum eine Rolle und können sogar Neid und Ablehnung erzeugen. In sportlichen und musischen Aktivitäten, Hobbys, für die sich begeistern können, sammeln Kinder und Jugendliche Erfolgserlebnisse, erfahren Wertschätzung und Respekt und finden heraus, wer sie sind. Und genau das ist der Schlüssel zum Rätsel des ominösen „Coolseins“: Cool wirkt jemand, der einfach ist wie er ist, also authentisch, und nicht angestrengt versucht, irgendwie bzw. irgendwer zu sein und eine Rolle zu spielen. Genau aus diesem Grund konnte der Musiker Ed Sheeran, der weder vom Aussehen noch vom Auftreten her dem Klischee eines Superstars entspricht, zum Superstar und zum Vorbild vieler Jugendlicher werden. Er ist er selbst und hat sich für den Erfolg weder verbogen noch verbiegen lassen.

Höchst problematisch für diese so wichtige Selbstfindung ist es, wenn Eltern ihren Kindern Wege aufdrängen, die sie selbst gar nicht beschreiten möchten, sei es schulisch, beruflich oder bei der Auswahl der Hobbies. Wenn ein Mädchen nicht zum Boxen darf oder ein Junge nicht zum Jazztanz, wenn das Kind zum Klavierunterricht, auf den Golfplatz oder in den Fußballverein genötigt wird, wenn Teenagern ein bestimmter Bekleidungsstil aufgenötigt wird, weil die Eltern das für richtig und angemessen halten, wird dieser Zwang zwangsläufig zunehmende Spannungen erzeugen und sich irgendwann gegen die Eltern wenden.

Wer Kindern dagegen frühzeitig vielseitige Vorschläge und Anregungen macht, aus denen sie sich ihre Lieblingssportart, ihr Instrument, ihr Hobby wählen dürfen, trägt damit zur Selbstfindung und Stärkung des Selbstwertgefühls bei. Das Kind, das gerne Schlagzeug oder E-Gitarre spielen möchte, aber stattdessen zum Geigenunterricht verdonnert wird (oder umgekehrt), wird unweigerlich an sich verzweifeln, denn was keinen Spaß macht, führt nicht zu Erfolgserlebnissen, sondern zu Frustration.

Kontrolle ist [manchmal] gut, Vertrauen ist [meistens] besser!

Viele Eltern neigen heute dazu, ihre Kinder sehr stark zu kontrollieren, ein Verhalten, das den Begriff der „Helikoptereltern“ geprägt hat. Ich persönlich finde die Bezeichnung „Drohneneltern“ zutreffender. Besonders deutlich wird dieses Phänomen, wenn man sieht, wie immer mehr Eltern Smartphones zur permanenten Überwachung ihrer Kinder einsetzen. Ich rede hier nicht nur von ständigen Anrufen und Textnachrichten, manche Eltern gehen gar so weit, ihre Kinder per GPS-Ortung permanent zu überwachen. Das ist natürlich gut und fürsorglich gemeint, aber ebenso kontraproduktiv. Nach einem Medienelternabend für Eltern von Fünftklässlern erzählte mir eine Mutter begeistert, sie haben danke einer tollen „Familien-App“ ihren Sohn zu Beginn des Schuljahres zweimal aus dem falschen Bus geholt. Mit meiner Antwort, dass sie ihrem Sohn damit eine wichtige Erfahrung gestohlen habe und dass es allein ihre Schuld sei, dass der Junge beim zweiten Mal wieder in einen falschen Bus stieg, hatte sie nicht gerechnet. Auf meine Gegenfrage, in welchem Alter sie denn diese Totalüberwachung beenden wolle, hatte sie keine Antwort. Ich erzählte ihr dann, dass mein Sohn in der fünften Klasse gleich in der ersten Schulwoche den falschen Zug nach Hause erwischt hatte. Als er seinen Irrtum bemerkte, ging er zum Schaffner, bat ihn, zuhause Bescheid zu sagen, ließ sich den Heimweg erklären und kam stolz wie Oskar zuhause an. Der andere Junge lebt zwar an der digitalen Nabelschnur seiner Mutter ganz bequem, kann dadurch aber kaum selbständig und erwachsen werden. Grundsätzlich sollte man seinem Kind alles anvertrauen, was es altersgemäß selbst bewältigen kann, auch wenn es dann manchmal länger dauern (Schuhe binden…) oder schiefgehen kann. Solange sie nicht die Sicherheit oder die Gesundheit des Kindes gefährden, sind kleine selbst gelöste Missgeschicke und Probleme spielentscheidend für die Entwicklung von Selbständigkeit und Selbstwertgefühl. Aus demselben Grund sollten Kinder auch nicht jeden Morgen per Elterntaxi zur Schule eskortiert werden, was nebenbei die Unfallgefahr an den Schulen immens erhöht.

Dasselbe Prinzip gilt übrigens für das Packen des Schulranzens: Ein Kind das seinen Ranzen von den Eltern gepackt bekommt und sich darauf verlassen kann, dass Mama oder Papa die vergessenen Turnschuhe und den Wasserfarbenblock auf Anruf jedes Mal postwendend in die Schule nachliefern, hat keine Chance und auch keinen Grund zu lernen, wie es sich erfolgreich selbst organisiert. Wie soll ein Kind, dem zuhause immer jemand (lamentierend…) hinterher räumt, jemals lernen, eigenverantwortlich für Ordnung zu sorgen? Solche Konzepte eskalieren unausweichlich, wenn die Kinder in die Pubertät kommen, die Eltern von der permanenten Vergesslichkeit und Unordnung zunehmend genervt sind, aber nicht realisieren, dass sie das Problem und die ständige Streiterei selbst verursacht haben. Auf lange Sicht ist es daher deutlich entspannter, seinem Kind frühzeitig und konsequent die Verantwortung für bestimmte Bereiche zu übertragen, ihm Misserfolge zu ermöglichen und es aus Fehlern lernen zu lassen.

Huch, mein Kind pubertiert ja!

Damit sind wir beim nächsten Thema angekommen, der ominösen Pubertät: Ich staune immer wieder, wie viele Eltern vom Einsetzen der Pubertät sichtlich überrascht sind, obwohl sie doch mindestens 10 Jahre Zeit hatten, sich darauf vorzubereiten. Das heißt, man hatte unter anderem 10 Jahre lang Zeit, seinem Kind zu vermitteln, dass alle Menschen sich an Regeln halten müssen und dass auf Regelverstöße in aller Regel Konsequenzen folgen. Hat man das bis zum Beginn der Pubertät nicht erreicht, wird es schwierig bis unmöglich, bei einem hormongefluteten Teenager noch eine Verhaltensänderung zu erreichen. Im besten Fall ist es extrem nervenaufreibend, in diesem Alter noch grundlegende Konzepte einzuführen, die man bis dahin versäumt hat. In der Rückschau verlief die Pubertät meiner eigenen Kinder weitgehend unspektakulär, weil sie mit stabilen Leitplanken und einem gesunden Selbstwertgefühl in diese schwierige Lebensphase eintreten konnten.

Bei den einschlägigen Streitigkeiten verwenden diese Eltern gerne die oben bereits erwähnten Killerphrasen, an denen sich die Wurzel des Problems unverschlüsselt ablesen lässt: „Ich hab dir das schon tausendmal gesagt!“ (das sind 997 Mal zu oft) – „Wie oft soll ich dir das noch sagen?“ (diese Skala ist nach oben offen) – „Muss ich das jetzt noch zehnmal sagen?“ (wenn du möchtest, nur zu!). Problem erkannt? Das Kind hat gelernt, dass Mama/Papa nur lamentiert, schlimmstenfalls wird laut geschimpft, echte Konsequenzen gibt es nie, und falls doch, muss man nur ordentlich auf die Tränendrüse drücken und sie werden vorzeitig aufgehoben. Wer aber in der Erziehung agiert wie ein inkonsequenter Schiedsrichter, der zwar die Regeln kennt und ständig mit Konsequenzen droht, aber nie eine Karte zieht, wird von seinen Kindern ebenso wenig respektiert und ernst genommen wie dieser Schiedsrichter, dem das Spiel immer mehr entgleitet bis er es am Ende gar nicht mehr in den Griff bekommt. Solchermaßen frustrierte Eltern berichten dann oft, dass am Ende solcher Debatten alle Beteiligten am Brüllen sind, man sich wütend in seine Zimmer zurückzieht, und dass am nächsten Tag derselbe Zirkus von vorne beginnt.

Brüllen ist zwecklos, Gelassenheit hilfreich

Brüllen ist eine archaische Kommunikationsform aus der Zeit, als wir Menschen noch nicht über Sprache verfügten. Wer lauter brüllte, war der Stärkere und der Verlierer des Brüllduells ordnete sich aus Angst vor körperlichen Konsequenzen unter. Durch die Entwicklung der Sprache und der Gesellschaft funktioniert dieses schlichte Konzept schon lange nicht mehr, v.a. ist es nicht dazu geeignet, ein angenehmes Klima mit gegenseitigem Respekt zu schaffen. Wenn Kinder alle Argumente erfolglos verschossen haben und am Ende der Diskussion ihre Eltern auch mit der ultimativen Notlüge „aber alle dürfen/haben das“ nicht weichkochen konnten, bleibt als letztes Mittel nur noch, emotional durch die Decke zu gehen und die „doofen Erwachsenen“ dabei mitzunehmen. Dann wird geschimpft, getobt, auf die Tränendrüse gedrückt oder gar mit Liebesentzug gedroht. Das ist normal und man darf sich über diese überschäumenden Emotionen auf keinen Fall lustig machen, das würde das Kind in seinem Ohnmachtsempfinden zusätzlich verletzen.

Um solche Situationen möglichst zu vermeiden, ist es psychologisch geschickt, Diskussionen im wahrsten Sinn auf Augenhöhe zu führen, d.h. im Sitzen und mit Speisen und Getränken auf dem Tisch, denn Essen setzt Endorphine (Glückshormone) frei. Das trägt zu einer entspannten Atmosphäre bei und das Kind hat nicht schon durch den Blickwinkel von unten nach oben von Beginn an das Gefühl der Unterlegenheit. Ein grundsätzliches Problem vieler Familien ist übrigens, dass immer seltener zusammen gegessen wird, und dass man sich beim Essen mit Smartphones beschäftigt, anstatt miteinander zu reden!

Garantiert kontraproduktiv ist es, wenn man sich auf die emotionale Ebene einlässt, ebenfalls laut und emotional wird und im Brüllaffenstil versucht, Stärke über Lautstärke zu demonstrieren, denn solche Szenen können das Verhältnis zwischen Eltern und Kind nachhaltig beschädigen. Auch wenn der Kesseldruck steigt und man zunehmend genervt ist, sollte man bewusst gelassen bleiben, dem Kind ruhig und freundlich erklären, dass die Diskussion jetzt erst einmal beendet ist und man gerne noch einmal darüber reden kann, wenn der Rauch sich verzogen hat. Um sich selbst abzuregen, hat es sich bewährt, anschließend etwas zu tun, das den Kopf frei macht und Adrenalin abbaut: Joggen, Radfahren, Gitarre (oder besser Schlagzeug) spielen, etc. – oder kurz in den Wald fahren und sich eine Runde ausbrüllen 😉 Sollte man sich trotz aller guten Vorsätze doch einmal im Ton und/oder in der Wortwahl vergriffen haben, ist es eine gute Idee, sich später in Ruhe dafür zu entschuldigen. Damit gibt man auch dem Kind die Gelegenheit, dasselbe zu tun.

Den Nachwuchs fängt man dann am besten bei einer spaßigen gemeinsamen Unternehmung wieder ein: „Komm, wir gehen mal ein Eis essen!“

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