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Vodafone-Umfrage: Jeder 5. Jugendliche Opfer von Cybermobbing? Unsinn!

Laut einer im Sommer 2013 veröffentlichten Studie des „Bündnis gegen Cybermobbing“ war angeblich jeder sechste Jugendliche bereits Opfer von Cybermobbing. Damals habe ich dargelegt, dass diese auf den ersten Blick erschreckenden Ergebnisse nur aufgrund einer unsinnigen, viel zu weit gefassten Auslegung des Begriffs „Mobbing“ zustande kam, die Autoren der Studie hatten sich nicht einmal die Mühe gemacht, „Cybermobbing“ – immerhin Forschungsgegenstand der Studie – überhaupt zu definieren. Wenn man aber jegliche Auseinandersetzung unter Jugendlichen nur aufgrund der Tatsache, dass sie online ausgetragen wird, als Cybermobbing einstuft, kommt man natürlich zu erschütternden Ergebnissen, die ich bereits ausführlich relativiert habe. Cybermobbing stellt selbstverständlich ein gravierendes Problem für Betroffene dar. Es hilft aber niemandem, wenn mit unseriösen Umfragen Hysterie erzeugt und ein völlig verzerrtes, übertriebenes Bild der Problematik gezeichnet wird.

Um eine Situation als „Mobbing“ einstufen zu können, müssen, offline wie online, zwingend zwei Kriterien erfüllt sein: Zum einen das Gefühl, einer Übermacht der Täter hilflos ausgeliefert zu sein, zum anderen eine nachhaltige Wirkung auf die Betroffenen. Wenn sich zwei Jugendliche per WhatsApp heftig streiten, ist das ein heftiger Streit, aber keineswegs Mobbing – im Rahmen der oben zitierten Studie befragt, würden aber beide angeben, Opfer von Cybermobbing zu sein!

Nun ist es wieder geschehen, die britischen Autoren von Vodafone sprechen gar von einer „bahnbrechenden Studie„, und wieder „Nein!“, liebe Leute von Vodafone, so kann man eine seriöse Studie beim besten Willen nicht durchführen und dann noch mit einer markigen Überschrift das Thema glatt verfehlen! Und erneut übernimmt auch diesmal ein Großteil der Medien eine solche Pressemeldung, ohne sich kritisch mit dem Inhalt zu befassen, leider sogar HEISE online.

Jeder zweite Jugendliche findet Cybermobbing schlimmer als Drogenmissbrauch

https://www.vodafone.de/unternehmen/presse/pressearchiv2015-306643.html

Vielleicht hat da jemand auch nur schlampig aus dem Englischen übersetzt, denn die Aussage, die bewertet werden sollte, lautete hier: „Cyberbullying is a bigger problem for young people than drug abuse (i.e. regularly taking illegal drugs)“. Mitnichten bedeutet die Zustimmung zu dieser Aussage, dass der Jugendliche Cybermobbing (bzw. das was die Fragensteller dafür halten…) „schlimmer“ findet als regelmäßigen Drogenkonsum, es ist lediglich ein größeres Problem, weil es häufiger vorkommt.

Die Unzulänglichkeiten der „Studie“ beginnen bereits mit der Auswahl der gerade einmal 510 befragten deutschen Jugendlichen (von ca. 5 Millionen!) im Rahmen einer Onlinebefragung. Ob hier eine repräsentative Teilnehmerauswahl getroffen wurde, erschließt sich nicht, erscheint aber eher unwahrscheinlich, denn in der Präsentation der Ergebnisse heißt es: „Base: All aged 13-18 who are happy to complete the survey (510)“. Sprich: 510 Jugendliche, die Lust hatten, an der Umfrage teilzunehmen. Es liegt auf der Hand, dass bei dieser Umfrage insbesondere solche Jugendlichen „Lust hatten“, an der Umfrage teilzunehmen, die schon einmal mit Cybermobbing (bzw. dem, was die Autoren dafür halten…) konfrontiert waren. Wenn aber nicht sichergestellt ist, dass eine Umfrage repräsentativ durchgeführt wurde, taugt sie nur für die Tonne.

Werfen wir trotzdem einen Blick auf die Ergebnisse: 18 % der Befragten geben an, schon einmal Opfer von Cybermobbing geworden zu sein – dass ihnen zuvor erläutert wurde, wie dieses Phänomen definiert ist, ist nicht ersichtlich, Details zur Onlinebefragung hat Vodafone nicht veröffentlicht. 18 % sind übrigens deutlich näher an „jeder sechste“ (16,6 %) als an „fast jeder fünfte“ (20 %), liebe Vodafone-Autoren…

Von diesen 18 % Betroffenen wiederum zeigten sich 49 % hilflos oder wütend, 43 % „depressiv“ – auch hier liegt wieder ein Übersetzungsfehler vor, das englische Wort „depressed“ bedeutet „deprimiert, niedergeschlagen“, aber nicht „depressiv“!
31 % dieser 18 % mieden danach soziale Aktivitäten, 26 % schwänzten die Schule, 18% hatten Suizidgedanken,16% meldeten sich von sozialen Netzwerken ab.

Auf die Gesamtzahl der Befragten gerechnet heißt das: 8,8 % waren hilflos oder wütend, 7,7 % waren deprimiert, 5,6 % mieden soziale Aktivitäten, 4,7 % schwänzten die Schule, 3,2 % hatten Selbstmordgedanken, 2,9 % meldeten sich von sozialen Netzwerken ab. Nur bei diesen Betroffenen besteht die Wahrscheinlichkeit, dass tatsächlich Cybermobbing vorlag, alle anderen haben lediglich Onlinestreitigkeiten erlebt, wie sie offline unter Jugendlichen in wesentlich größerem Ausmaß vorkommen. In der oben angesprochenen Studie des „Bündnis gegen Cybermobbing“ gaben 3,3 % der Befragten an, sich dauerhaft von der Situation belastet zu fühlen, also tatsächlich von Cybermobbing betroffen zu sein, auch da sprachen die Autoren in der ersten Pressemeldung von „jedem fünften“.

In aller Regel ist ein Onlinezwist die Fortsetzung einer nicht-virtuellen Auseinandersetzung in der Schule oder in der Freizeit. In meiner langjährigen Arbeit ist mir jedenfalls noch kein Fall von Mobbing begegnet, der nur im Cyberspace, aber nicht im „realen“ Leben stattfand. A propos „richtiges Leben“: In der Erwachsenenwelt fühlen sich laut einer Studie von 2002 (Meschkutat et al) 11,3 % der Erwerbstätigen als Opfer von Mobbing am Arbeitsplatz!

Berücksichtigt man dann noch die viel zu kleine Stichprobe von 510 Befragten und deren höchtwahrscheinlich nicht repräsentative Auswahl, bleibt unter dem Strich viel heiße Luft – für Vodafone in Form von großflächiger Aufmerksamkeit in den Medien, die durch eine Kampagne mit hübschen Anti-Mobbing-Smileys noch zusätzlich befeuert werden soll. Ob dahinter nun Methode oder „nur“ wissenschaftliches Unvermögen steht, möchte ich nicht beurteilen.

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