Gerichtsurteil: WhatsApp ist rechtswidrig und Eltern sind medienerziehungspflichtig
In seinem Urteil vom 15.05.2017 zu einem Sorgerechtsstreit um einen 11jährigen Jungen hat das Amtsgericht Bad Hersfeld meine Auffassung zu WhatsApp bestätigt: Die Nutzung des Messengers ist nach deutschem Datenschutzrecht rechtswidrig, wenn man nicht die schriftliche Zustimmung aller im Handyadressbuch gespeicherten Personen zur Weitergabe der Kontaktdaten an WhatsApp/Facebook einholt. Wer WhatsApp nicht nutzt, hat nach Auffassung des Gerichts das Recht, jeden seiner Handykontakte kostenpflichtig abzumahnen, der ohne diese Zustimmung WhatsApp nutzt!
Aber auch in anderer Hinsicht ist dieser Beschluss höchst bemerkenswert und bestätigt die Kernaspekte meiner Elternabende. Dass der beklagten Mutter auch noch die Lektüre eines Artikels und das Ansehen eines Videos auf meiner Website auferlegt wurde (Tenor, 7.), freut mich natürlich ganz besonders! 🙂
Weiterhin wurde die Mutter verpflichtet (Tenor, 8.) , anstelle des Smartphones einen „nicht online vernetzten Wecker bereit zu stellen“. Hohes Gericht, das finde ich großartig!
Die Verfahrenskosten in Höhe von 1500 € muss die beklagte Mutter tragen.
Aus dem =>Urteil:
Leitsatz:
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1. Überlassen Eltern ihrem minderjährigen Kind ein digitales ’smartes‘ Gerät (z.B. Smartphone) zur dauernden eigenen Nutzung, so stehen sie in der Pflicht, die Nutzung dieses Geräts durch das Kind bis zu dessen Volljährigkeit ordentlich zu begleiten und zu beaufsichtigen.
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2. Verfügen die Eltern selbst bislang nicht über hinreichende Kenntnisse von ’smarter‘ Technik und über die Welt der digitalen Medien, so haben sie sich die erforderlichen Kenntnisse unmittelbar und kontinuierlich anzueignen, um ihre Pflicht zur Begleitung und Aufsicht durchgehend ordentlich erfüllen zu können.
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3. Es bestehen keine vernünftigen Gründe, einem Kind ein Smartphone auch noch während der vorgesehenen Schlafenszeit zu überlassen.
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4. Zur Notwendigkeit einer Eltern-Kind-Medien-Nutzungsvereinbarung bei erheblichem Fehlverhalten in der Medien-Nutzung durch das Kind als auch durch ein Elternteil sowie aufkommender Medien-Sucht-Gefahr
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5. Wer den Messenger-Dienst „WhatsApp“ nutzt, übermittelt nach den technischen Vorgaben des Dienstes fortlaufend Daten in Klardaten-Form von allen in dem eigenen Smartphone-Adressbuch eingetragenen Kontaktpersonen an das hinter dem Dienst stehende Unternehmen.
Wer durch seine Nutzung von „WhatsApp“ diese andauernde Datenweitergabe zulässt, ohne zuvor von seinen Kontaktpersonen aus dem eigenen Telefon-Adressbuch hierfür jeweils eine Erlaubnis eingeholt zu haben, begeht gegenüber diesen Personen eine deliktische Handlung und begibt sich in die Gefahr, von den betroffenen Personen kostenpflichtig abgemahnt zu werden. -
6. Nutzen Kinder oder Jugendliche unter 18 Jahren den Messenger-Dienst „WhatsApp“, trifft die Eltern als Sorgeberechtigte die Pflicht, ihr Kind auch im Hinblick auf diese Gefahr bei der Nutzung des Messenger-Dienstes aufzuklären und die erforderlichen Schutzmaßnahmen im Sinne ihres Kindes zu treffen.
Tenor:
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Die Kindesmutter wird verpflichtet, mit ihrem Sohn E. eine schriftliche Medien-Nutzungsvereinbarung (Vorlage z.B. unter www.mediennutzungsvertrag.de ) zu schließen und diese dem Gericht binnen 1 Monat ab Zustellung dieses Beschlusses in Kopie zu übersenden.
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Die Kindesmutter wird verpflichtet, von allen Personen, welche aktuell im Adressbuch des Smartphones ihres Sohnes E. gespeichert sind, schriftliche Zustimmungserklärungen dahingehend einzuholen, ob diese Personen damit einverstanden sind, dass E. in dem Adressbuch seines Smartphones die Telefonnummer(n) und den Namen – wenn ja, in welcher Form (Pseudonym, Kürzel oder aber Vor- oder/und Nachname als Klardatum) – der jeweiligen Person speichert und dass die Daten von dort dann regelmäßig über die von E. gleichzeitig genutzte Applikation „WhatsApp“ an den Betreiber WhatsApp Inc. in Kalifornien/USA übertragen / hochgeladen werden, wo diese Daten zu vielfältigen Zwecken des Betreibers laut dessen Nutzungsbedingungen frei weiter verwendet werden können.
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Die Einholung der Zustimmungserklärungen gemäß Ziffer 2. hat die Kindesmutter dem Gericht binnen 2 Monaten ab Zustellung dieses Beschlusses nachzuweisen.
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Die Kindesmutter wird verpflichtet, regelmäßig – mindestens einmal monatlich – Gespräche mit ihrem Sohn E. über die Verwendung seines Smartphones und über die darauf gespeicherten Kontakte zu führen, sowie das Smartphone und dessen Adressbuch dabei jeweils auch selbst in Augenschein zu nehmen.
Hinsichtlich dann jeweils neu im Adressbuch des Smartphones hinzu gekommener Kontaktpersonen hat die Kindesmutter wiederum unverzüglich gemäß der Auflage nach Ziffer 2. zu verfahren. -
Die Kindesmutter hat dem Gericht jeweils bis zum 15.10.2017, bis zum 15.02.2018 und bis zum 15.06.2018 schriftlich mitzuteilen, welcher neuere Stand sich durch die Erfüllung der Auflage gemäß Ziffer 4. ergeben hat.
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Kann die Kindesmutter zu den Stichtagen gemäß Ziffer 3. und Ziffer 5. nicht hinsichtlich sämtlicher im Adressbuch des Smartphones ihres Sohnes eingetragener Kontaktpersonen eine schriftliche Zustimmungserklärung gemäß Ziffer 2. nachweisen, so hat sie die Applikation WhatsApp einstweilen von dem Smartphone ihres Sohnes zu entfernen und diese solange von dem Gerät fernzuhalten, bis der Nachweis für alle dort im Adressbuch gespeicherten Personen gegeben ist.
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Der Kindesmutter wird aufgegeben, persönliche Weiterbildung zum Themenbereich der digitalen Mediennutzung zu betreiben, wie folgt:
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a) bis zum 31.5.2017: Lesen des folgenden Online-Beitrags:
www.medien-sicher.de/2013/11/liebe-eltern-eine-offene-e-mail
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b) bis zum 30.6.2017: Anschauen des Videos unter
www.medien-sicher.de/2014/03/elternvortrag-digitales-kinderzimmer
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c) von Juli 2017 bis inkl. Juni 2018: .
Lesen von mindestens drei Themen-Berichten monatlich auf der Internetplattform “ Klicksafe.de – EU-Initiative für mehr Sicherheit im Netz „ nach jeweils freier Auswahl der Kindesmutter
(genauer: Aufsuchen der Internet-Adresse (URL) www.klicksafe.de/themen , dort zunächst Anwahl per Mausklick in der Spalte links zu einem Thema nach Wahl, sodann Auswahl eines konkreten Berichts in der Themenbox mittig [= unterhalb der jeweils weißen Überschrift auf grünem Grund „KLICKSAFE INFORMIERT„] ).
Die Einhaltung dieser Verpflichtungen wird in den Fristen gemäß Ziffer 3. und 5. mit kontrolliert.
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Der Kindesmutter wird aufgegeben, ab sofort das Smartphone des Kindes vor dem Schlafengehen jeweils einzuziehen, sowie dem Kind einen anderweitigen, nicht online vernetzten Wecker bereit zu stellen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Kindesmutter zu tragen.
Der Verfahrenswert wird auf 1.500 € festgesetzt.
Es lohnt sich sehr, die ausführliche Urteilsbegründung im vollständigen Wortlaut zu lesen: http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/lexsoft/default/hessenrecht_lareda.html#docid:7876045
Pingback: Elternpflichten bei Whatsapp Benutzung – Die Welt der Messenger
Vielen Dank für diesen sehr interessanten Artikel. Wir haben bei uns auf der Homepage den Artikel auch eingebaut. https://mzlw.de/2019/09/19/whatsapp-fortnite-instagramm-snapchat-tiktok-schulversagen-online-sucht-sexting-mobbing-grooming/
Noch ein Hinweis: Das Urteil ist nun zu finden unter https://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE190000030
Pingback: WhatsApp, Fortnite, Instagramm, Snapchat, TikTok, ... => Schulversagen, Online-Sucht, Sexting, Mobbing, Grooming, ... - Medienzentrum Limburg-Weilburg
Hallo Herr Kulle, zum einen liegt die Verantwortung für die Medienerziehung eindeutig bei den Eltern, das habe ich ja auch beim Elternabend versucht deutlich zu machen. Zum anderen können Sie einen amerikanischen Anbieter nicht mit deutschen Gesetzen belangen, es gibt keine Möglichkeit, Google und Apple zu verbieten, dass diese App in den App Stores angeboten wird, und deutsche Gesetze haben keinen Einfluss auf diese Anbieter. WhatsApp hat keine deutsche Niederlassung und unterliegt US-Amerikanischem Recht. Schöne Grüße, Günter Steppich
Hallo Herr Steppich,
ich war erst vor ein paar Tagen auf Ihrem Elternabend in Wörsdorf und habe viel dazu gernt. Dafür möchten ich Ihnen an dieser Stelle danke. Irgendwie kann ich mich nicht so recht über das neue Urteil freuen. Hier ist das Thema Verantwortung zu Lasten der Mutter verschoben wurde. Eigentlich wäre Whatsapp nach deutschen Recht und Datenschutz als illegal zu bezeichnen und dürfte so nicht auf dem deutschen Markt erhältlich und zu betreiben sein. Hier müssten vor allem die Betreiber belangt werden. Vielen Grüsse aus Idstein, Peter Kulle