eMail einer Mutter zur Handyausstattung – zur Nachahmung empfohlen!
Von der Mutter einer Schülerin erhielt ich kürzlich eine großartige eMail, die anderen Eltern äußerst hilfreiche Denkanstöße zur Frage der digitalen Ausstattung ihrer Kinder geben kann, und die ich hier, mit ihrer freundlichen Genehmigung, anonymisiert veröffentlichen darf:
Hallo Herr Steppich,
Ich lese aufmerksam Ihre Elternbriefe, die über die Elternbeiräte verteilt werden und bin immer wieder befremdet, was offenbar alles in Klassenchats etc. passiert. Es klingt, als würden viele Eltern nicht mitkriegen (wollen), was ihre Kinder im Netz tun oder erleben. Ihr Job, so scheint es, ist wie der von Kassandra – Sie warnen und erklären und dennoch scheint sich zu wenig zu ändern. Deshalb möchte ich Ihnen unsere Erfahrungen schildern:
Unsere ältere Tochter hat zum Ende des sechsten Schuljahres ein Smartphone bekommen, als ihr Tastenhandy den Geist aufgab. Durch Ihre Vorträge wusste sie, wussten wir, worauf wir achten müssen. Sie hatte niemals WhatsApp, stattdessen gibt es Threema und dort haben sie und ihre Freundinnen ihre Chatgruppe. Alle Apps, die sie laden will, muss sie sich auch heute noch (drei Jahre später) von uns genehmigen lassen. Als ersten und einzigen Social Media Kanal hat sie (sie ist jetzt 15) seit ca. einem Monat Pinterest, also kein Insta, kein TikTok oder so. Die Bildschirmzeit für diverse Anwendungen (YouTube, Firefox, Spiele) ist zeitlich begrenzt.
Die jüngere Tochter ist – wie es bei vielen jüngeren Geschwistern der Fall ist – eher in Berührung gekommen mit dem Internet, mit Streamingdiensten, Spielen etc. Die Bildschirmzeit ist bei ihr auch altersgerecht begrenzt, aber nicht zuletzt wegen der Lockdowns saß sie öfter und länger vor dem Laptop oder dem iPad als ihre Schwester in dem Alter. Auch die Jüngere bekam zum Wechsel aufs Gymnasium ein Tastenhandy. Als dies im zweiten Halbjahr kaputt ging, gaben wir ihr ein Smartphone (Bequemlichkeit unsererseits: es war ein altes Gerät von mir). Auch hier galten die Regeln: kein WhatsApp, kein Social Media, begrenzte Bildschirmzeit, Apps nur mit Genehmigung laden, kein Handy während der Hausaufgaben oder den Mahlzeiten (gilt für uns alle) und Abgabe des Geräts nach 20 Uhr. Wir dachten, mit so vielen Einschränkungen ist es vertretbar.
Unser Fazit nach ein paar Monaten: Sie war überfordert, sich an diese Regeln zu halten und das ist kein Versagen ihrerseits, sondern vollkommen natürlich. Wenn es schon Erwachsenen kaum möglich ist, die Finger vom Gerät zu lassen und es wie einen Schnuller zu brauchen (trösten, ablenken, beruhigen), wie soll es dann einer Elfjährigen gelingen? Es gab daher immer wieder Stress, ihr das Handy für die Hausaufgaben oder ähnliches abzunehmen, wir mussten immer wieder die Regeln einfordern. Es brachte sie dazu, zu lügen und zu tricksen. Nach einem Eklat haben wir angekündigt, ihr das Smartphone abzunehmen. Es dauerte ein paar Tage, bis ein neues Tastenhandy und eine passende SIM-Karte geliefert wurden. Ich glaube, sie hoffte, wir würden es uns anders überlegen und war wirklich geknickt, als wir Ernst machten. Mit dem Tastenhandy ist es mühsam, eine SMS zu tippen und sie kann – außer zu telefonieren – maximal noch „Snake“ spielen.
Aber sie hat sich nach wenigen Tagen daran gewöhnt und unser Zusammenleben hat sich so sehr entspannt! Ich kann ihr wieder vertrauen, dass sie ehrlich zu uns ist, sie ist ausgeglichener und glücklicher. Wenn sie jetzt abends noch Musik (über iTunes) hören will, läuft das übers iPad, das per Bluetooth ans Internetradio in ihr Zimmer streamt (das iPad bleibt bei uns). Klar bekommt sie noch das iPad, aber darüber haben wir die Kontrolle und sie hat gelernt, dass es das auch tageweise gar nicht gibt, wenn sie es nicht wie vereinbart rechtzeitig abgibt. Wir reden immer wieder über das, was sie sich auf YouTube anschaut. Die Fahrten vom und zum Training haben sich da als gute Gelegenheit erwiesen. Wir haben kein Datum definiert, wann sie ihr Smartphone zurück bekommt. Ich sehe dafür im Moment überhaupt keinen Anlass.
Ihr das Smartphone abzunehmen, war unbequem, aber nötig. Und im Grunde haben wir nur unseren Job als Eltern gemacht. Vielleicht ist sie insgeheim auch ganz dankbar? Weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass sie wieder glücklich ist. Und wir auch.
Ich danke Ihnen für Ihr unermüdliches Engagement!
Passend dazu mein Erklärvideo „Kinder- und Smartphones – eine gute Idee?“